Sarah lenkte den roten Voyager zielsicher in die Einfahrt vor ihrem Haus. Das Tor zur Garage stand immer noch offen, aber Sarah musste den Wagen dennoch vor der Garage in der Einfahrt abstellen. In der Garage selbst war nach wie vor Sean’s Boot aufgebahrt, ein kleines, hölzernes Ding, dass er sich erst vor kurzem zugelegt hatte und mit dem er fortan an den Wochenenden zum Angeln raus fahren wollte. Wann diese Wochenenden sein würden, das hatte er nicht gesagt, doch seit beinahe zwei Monaten hatte er immer etwas gefunden, was er an der kleinen Nussschale noch ausbessern, verschönern oder sonstwie verändern wollte. Mittlerweile mochte man fast glauben, Sean hatte sich das Boot nur zugelegt, damit er neben seinem Job etwas Ablenkung in irgendeiner hobbyähnlichen Beschäftigung fand. Sarah hatte damit kein Problem, das Boot störte sie nicht sonderlich und abgesehen von ein, zwei Stunden alle zwei Wochen kümmerte Sean sich ohnehin nicht wirklich darum. Nur dass sie die Garage in den letzten Wochen nicht mehr benutzen hatte können, das hatte sie ein wenig gestört.
Sarah stellte den Motor des Wagens ab und zog den Schlüssel aus dem Zündschloss, dann öffnete sie die Tür des Wagens und stieg aus. Sie warf einen kurzen Blick in die Garage, aber Sean war nirgends zu sehen. Vielleicht war er gerade wieder hinter dem Haus – oder sonstwo. Sarah ging zurück zum Wagen und öffnete die Heckklappe. Vor ihr türmten sich nicht weniger als 6 wirklich große, gut gefüllte Einkaufstüten auf. Noch vor knapp einem Jahr, als sie mit Sean hierher gezogen war, da hatte sie schon die Anschaffung des Wagens als unnötig empfunden. Zu groß war er ihr gewesen, und zu viel Sprit brauchte er ausserdem. Damals aber hatte Sarah noch so gedacht, wie sie es von zu Hause in Deutschland gewohnt war. Je länger sie aber hier lebte, desto mehr hatte sie gelernt, dass die Dinge hier ein wenig anders liefen, und so war sie doch ganz froh, dass sie heute einen Wagen wie diesen hier fuhr. Nicht nur, weil er den Transport der Einkäufe unglaublich erleichterte. Es stimmte schon, selbst das Einkaufen war ganz anders als zu Hause. "Zu Hause", dachte Sarah. Noch immer bezeichnete sie ihre deutsche Heimat so, obwohl sie sich hier mittlerweile ganz gut eingelebt hatte. Am Anfang war ihr die Trennung von ihren Eltern und vor allem ihrer Schwester ziemlich schwer gefallen, aber Sean hatte sich sehr viel Zeit für sie genommen und es hatte auch nicht lange gedauert, bis Sarah hier neue und gute Freund- und Bekanntschaften geschlossen hatte. Die meisten ihrer Nachbarn kannte sie sehr gut, man traf sich häufig zu verschiedenen Anlässen. Am morgigen Samstag etwa stand eine Geburtstagsparty bei den Hendersons an. Davon abgesehen hatte Sarah ohnehin das Gefühl, dass die Leute hier sehr viel offener für neue Bekanntschaften waren, denn sie und Sean waren wirklich sehr herzlich empfangen worden. Zwar waren Sarah und Sean das mit Abstand jüngste Paar hier in der Gegend – die meisten ihrer Nachbarn waren bereits über 35 oder noch älter – und noch dazu die Letzten, die sich hier eingefunden hatten, aber dennoch war nie auch nur das leiseste Gefühl aufgekommen, nicht dazu zu gehören.
Sarah nahm eine der Tüten aus dem Wagen und ging dann über den Rasen hinüber zum Hauseingang. Sie stieg rasch die zwei Stufen der Veranda nach oben und schloss dann die Tür auf und ging direkt in die Küche, wo sie die Einkaufstüte auf der Anrichte abstellte. Anschließend ging sie wieder nach draussen, um die restlichen Sachen zu holen. Sarah nahm gerade die zweite der Tüten aus dem Wagen, da sah sie Sean um die Garage kommen. Er hatte seinen Werkzeuggürtel um den Bauch geschnallt, offenbar hatte er wohl das Loch im Gartenzaun repariert. Er hatte es vor kurzem selbst geschaffen, nachdem er bei der Gartenarbeit wie üblich etwas unaufmerksam gewesen war. Als Sean seine Frau erblickte, lächelte er ihr freudig zu und kam herüber, begrüsste sie mit einem Kuss auf die Wange und fragte dann: "Na, alles erledigt?"
"Ja," antwortete Sarah, "alles erledigt. Ich hab’ auch ein schönes Geschenk für Daryll, aber das zeig’ ich dir drinnen. Hilfst du mir mit den Tüten?" Sarah deutete ein Kopfnicken in Richtung des Wagens an, und Sean machte sich sofort daran, ihr beim Tragen zu helfen. Sean ergriff gleich zwei Tüten auf einmal, und sie brachten alles nach drinnen. Sie stellten die drei Tüten zu der ersten auf die Anrichte, und Sean ging nach draussen, um die restlichen Einkäufe zu holen. Sarah begann derweil schon, die Tüten leer zu räumen und dann die eingekauften Sachen entweder in den Kühlschrank oder die Speisekammer zu stellen. Mittlerweile hatte Sarah sich einigermaßen daran gewöhnt, dass selbst ein ganz normaler Einkauf deutlich umfangreicher ausfiel als es zu Hause in Deutschland der Fall gewesen war. Das lag nicht nur daran, weil viele der Produkte günstiger waren. Fast alles, was Sarah kaufte, wurde nur in Großverpackungen angeboten, so wie die gut vier Liter fassenden Milchkanister oder auch die 5-Liter-Flaschen von Pepsi oder Coca Cola. Selbst wenn Sarah versuchte, weniger einzukaufen, so war es doch jedes Mal genug, dass sie immer mehr als ausreichend Lebensmittel zu Hause hatten. Viele der Produkte schienen zwar nicht ganz die Qualität aufzuweisen, die sie von zu Hause her kannte, aber immerhin waren sie günstiger. Was Sarah allerdings nach wie vor störte war, dass der Größenwahn nicht bei den Packungen halt machte. Schon der Supermarkt, in dem Sarah einkaufte, war so groß, dass sie jedesmal fast 2 Stunden brauchte, um nur die üblichen Produkte zu kaufen. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, als sie das erste Mal mit Sean dort einkaufen gegangen war und er sie gebeten hatte, eine Flasche Ketchup zu besorgen. Sarah hatte bald das Regal gefunden, wo der Ketchup stand. Womit sie allerdings nicht gerechnet hatte: es gab weit mehr als nur einen einzigen Ketchup, für den sie sich hätte entscheiden können. Das Regal war gut und gerne zwanzig Meter lang gewesen, und Sarah hatte nicht weniger als 43 verschiedene Ketchupsorten gezählt, die sich in Marke oder Geschmack zu unterscheiden schienen und von denen einige hundert Flaschen nebeneinander aufgereiht standen. So verhielt es sich mit allen Sachen. Zwar wusste Sarah nun meistens, wo dasjenige stand, das sie kaufen wollte, aber es brauchte eben alles seine Zeit.
Eine andere Sache allerdings war Sarah ebenfalls aufgefallen. Die ständige Verfügbarkeit von Lebensmitteln in einem sollen Überfluss schienen ihrer Figur nicht sonderlich zu bekommen. Als sie und Sean vor einem Jahr hierher gezogen waren, da war sie richtig stolz auf ihre Figur gewesen. Sie hatte es gerade wieder geschafft, einige Kilos ab zuspecken und hatte sich richtig wohl gefühlt. Ganz schlank war sie zwar auch damals nicht gewesen, aber das hatte sie auch nie beabsichtigt. Im Vergleich zu heute allerdings hatte sie damals deutlich weniger gewogen. Nicht ganz zwanzig Kilogramm hatte sie in der Zeit, die sie jetzt hier lebten, zugenommen, und Sarah hatte damit sogar ihr früheres Rekordgewicht übertroffen. Allerdings war das auch kein Wunder. Gerade am Anfang war es ihr relativ schwer gefallen einen Job zu finden. Finanziell gesehen war das kein Problem gewesen, da Sean durchaus genug verdiente, um auch als Alleinverdiener einen angenehmen Lebensstandard für beide aufrecht zu erhalten. Dennoch hatte sich Sarah in den ersten Wochen ziemlich oft gelangweilt, und wenn sie alleine zu Hause vor dem Fernsehapparat gesessen und das amerikanische TV-Programm erkundschaftet hatte, dann hatte sie häufig einfach aus eben jener Langeweile vor sich hin gegessen. Die meisten Kilos, die sie zugenommen hatte, stammten aus den ersten beiden Monaten nach ihrem Umzug, denn danach hatte sie zwar stetig weiter zugelegt, aber eben deutlich langsamer. Wenn Sarah aber ganz ehrlich war, so störte sie ihr heutiges Gewicht aber nicht besonders. Sean gefiel es ohnehin, dass seine Frau wieder etwas fülliger geworden war, aber anders als zu Hause in Deutschland fiel es Sarah hier selbst nicht so auf, dass sie wieder molliger war. Zwar war es auch in Deutschland so, dass es mittlerweile viele – auch junge – Menschen gab, die etwas mehr auf die Waage brachten und es zeigten, aber zumindest in Sarah’s damaligen Umfeld war sie die Einzige gewesen, die nicht schlank gewesen war. Abgesehen von ihrer Schwester, die zeitweise mit ihr zu konkurrieren schien. Hier war es ein wenig anders, denn es kam Sarah zumindest so vor, als wären ein paar Pfunde zuviel ganz normal. Tatsächlich war es nicht so viel anders als in Deutschland, es gab auch hier dickere und weniger dicke Menschen, und wahrscheinlich bildete Sarah sich alles sowieso nur ein. Das wäre auch kein Wunder gewesen, denn schließlich taten vor allem die europäischen und damit auch die deutschen Medien alles dafür, um den Eindruck zu erwecken, dass Übergewicht vor allem ein typisch amerikanisches Problem war, das ausschließlich auf die ungesunde Ernährung dort zurückzuführen war. Dass der amerikanische Lebensstil und seine Folgen längst auch in nahezu ganz Europa Fuß gefasst hatte, und zwar in allen Bereichen, wurde geflissentlich übersehen.
In den ersten beiden Monaten hatte Sarah aber naturgemäß auch die ersten Kontakte zu ihren Nachbarn geknüpft. Strenggenommen war es ihr in dieser Zeit sogar zu Gute gekommen, dass sie nicht gleich einen Job gefunden hatte, der ihr zusagte. Die meisten ihrer Nachbarn waren Doppelverdiener, ein Umstand, der in den USA ganz normal war. Auch bei Familien mit Kindern gab es insofern selten eine Ausnahme. So hatte es sich relativ bald ergeben, dass Sarah gelegentlich als Babysitterin ihren Nachbarn ausgeholfen hatte. Selbst hatten Sarah und Sean zwar keine Kinder noch planten sie im Augenblick die Gründung einer Familie, aber Sarah kam gut mit Kindern zurecht. Tatsächlich hatte das erheblich dazu beigetragen, dass sie und Sean so schnell dazu gehört hatten. Es hatte auch nicht lange gedauert, bis aus dem Babysitten ein reiner Freundschaftsdienst geworden war, den Sarah ihren Nachbarn jederzeit gern erfüllte. Sofern sie nicht gerade selbst arbeitete, denn sie hatte mittlerweile eine Stelle bei einer lokalen Zeitung gefunden, bei der sie zweimal wöchentlich Pressetexte aus dem Deutschen übersetzte. An den Tagen aber, an denen sie nicht arbeiten musste, stand sie gerne als Aufpasserin zur Verfügung. Den Kindern in der Nachbarschaft – alle zwischen 4 und 10 Jahren alt – war Sarah daher mittlerweile gut bekannt, und manchmal fragte Sarah sich, ob sie nicht sogar richtig mit Kindern arbeiten wollte, beispielsweise als Kindergärtnerin.
Sean kam gerade wieder in die Küche und brachte die letzten beiden Tüten des Einkaufs mit. Er stellte sie zu den anderen auf die Anrichte, dann blickte er Sarah an.
"Kann ich dir bei etwas helfen?" fragte er.
"Im Moment nicht, danke." antwortete Sarah. Sean nickte und wollte gerade wieder nach draussen gehen, da schob Sarah hinterher: "Warte noch einen Moment, ich will dir noch Daryll’s Geschenk zeigen…"
Sarah wühlte kurz in einer der Tüten und fand, wonach sie suchte. Sie zog den bunten Karton heraus und präsentierte Sean die Actionfigur, die sie für Daryll gekauft hatte.
"Was meinst du, das müsste ihm doch gefallen, oder?" fragte sie Sean. Der streckte ihr seine Hand entgegen und Sarah gab ihm das Geschenk. Sean begutachtete es einen kurzen Augenblick, dann nickte er.
"Ja, ich denke schon. Wie alt wird Daryll? Acht? Dann wird ihm das hier sicher gefallen." erklärte Sean.
"Genau das hab’ ich mir auch gedacht, als ich das Ding gekauft hab’." meinte Sarah. Sie nahm Sean die Figur wieder ab und legte sie beiseite. "Ok, dann will ich mal den Rest aufräumen. Ich ruf dich dann, wenn das Essen fertig ist."
"Ok." bestätigte Sean und ließ Sarah allein in der Küche zurück. Die machte sich daran, die restlichen Einkäufe erst aus den Tüten und dann aufzuräumen, bevor sie damit begann, das Abendessen zuzubereiten. Große Lust zu kochen hatte Sarah heute eigentlich nicht, zumal sie später noch einen Kuchen backen wollte. Auch wenn Jeanie sie nicht darum gebeten hatte, ein Kuchen mehr oder weniger auf Daryll’s Party würde nicht schaden. So erhitzte Sarah nur zwei Portionen Maccaroni in der Mikrowelle, die sie und Sean wenig später aßen.
Nach dem Abendessen deckte Sean den Tisch ab, dann verzog er sich ins Wohnzimmer um ein wenig zu entspannen. Sarah hingegen suchte derweil die Zutaten zusammen, die sie für den Kuchen brauchen würde. Milch, Zucker, ein wenig Schokoladenpulver und noch ein paar Dinge mehr. Nachdem sie alles vorbereitet hatte, machte sie sich daran, den Teig zusammen zumischen.
* * *
Die Hendersons wohnten im Haus gegenüber. Sie waren die ersten gewesen, mit denen Sean und Sarah sich angefreundet hatten. Paul war 38 und arbeitete in der Versandabteilung eines großen Internetshops. Er war nicht ganz so groß wie Sean, aber mindestens ebenso breit, so dass man ihn rein seiner Statur nach eher für einen kräftigen Bauarbeiter oder Handwerker hätte halten können. Jeanie, seine Frau, war 35 Jahre alt und nicht ganz einen Kopf kleiner als ihr Mann. Damit war sie allerdings immer noch fast 10 Zentimeter größer als Sarah, und im Gegensatz zu Sarah war Jeanie wirklich schlank. Allerdings war das auch kein Wunder, denn immerhin arbeitete Jeanie als Fitnesstrainerin in einem kleinen Sportcenter, wo sie hauptsächlich Aerobic-Kurse gab. Mit beiden verstanden sich Sean und Sarah trotz des Altersunterschieds (Sean war 28, und Sarah war erst vor kurzem 21 Jahre alt geworden) sehr gut. In einem gewissen Sinne war es auch gar nicht so unpraktisch, dass Jeanie und Paul etwas älter waren. Vor allem zu Jeanie hatte Sarah eine sehr enge Bindung aufgebaut, was zu einem großen Teil sicherlich an der mütterlichen Art und Weise lag, die Jeanie so an den Tag legte. Auch wenn es Sarah komisch vorkam und sie es sicher nie angesprochen hätte, so war Jeanie doch so etwas ähnliches wie eine Freundin und Mutter zugleich für sie geworden. Mit Jeanie konnte Sarah sich über alles unterhalten, und wenn Sarah Probleme hatte, so konnte Jeanie ihr immer den einen oder anderen Rat geben. Sarah war darüber sehr froh, denn auch wenn Sean sich alle Zeit für Sarah nahm, die sie brauchte, so war Sean eben doch ein Mann. Trotz ihrer 21 Jahre aber brauchte Sarah nach wie vor eine weibliche Bezugsperson, was ihr erst nach der Trennung von Mia wirklich bewusst geworden war. Auch wenn sie in vielen Dingen schon erwachsen war und auch so dachte, so war sie trotz allem noch sehr jung und manchmal unerfahren. Und dann war Sarah froh, jemanden wie Jeanie zur Freundin zu haben.
Kennengelernt hatten Sarah und Sean die Hendersons – wie so viele ihrer Nachbarn -, als Sarah vor nicht ganz einem Jahr als Babysitterin für Daryll eingesprungen war. Paul und Jeanie hatten an diesem Abend unerwartet vereisen müssen, nachdem Jeanie’s Vater krank geworden war und es gar nicht gut um ihn gestanden hatte. Mittlerweile hatte der sich zwar wieder erholt, doch damals war die Situation sehr unerwartet gekommen und hatte so eine Menge Stress nach sich gezogen. Als dann auch noch die alte Dame, die Paul und Jeanie sonst als Babysitterin engagierten, absagte, da fragten sie kurzerhand Sarah. Sarah sagte natürlich zu, und nachdem sie mit Daryll – einem überaus lebhaften, aber offenbar auch recht klugen Jungen – so gut ausgekommen war, hatten Paul und Jeanie sie in der Folge noch einige weitere Male um Hilfe gebeten. Schon kurze Zeit später hatten sich auch die vier Erwachsenen miteinander angefreundet, und so war es keine große Überraschung, dass Sarah und Sean am heutigen Samstag zu Daryll’s Geburtstagsparty eingeladen waren.
Überhaupt war es auch nicht der erste Kindergeburtstag, zu dem Sarah und Sean eingeladen wurden. Es war üblich, dass die Kinder, die zu einer solchen Geburtstags- oder anderen Party eingeladen wurden, immer von ihren Eltern begleitet wurden. Je nachdem, ob die Jahreszeit und das Wetter es zuließen, fanden diese Parties dann im Freien, meist im Garten der Eltern des Gastgebers, statt und waren regelmäßig mit einem Barbecue oder dergleichen verbunden. Während die Kinder sich anschließend bei irgendwelchen Spielen vergnügten, blieben die Erwachsenen unter sich und feierten ihre eigene, kleine Party. Bisher war es allerdings in den meisten Fällen so gewesen, dass Sean seine Zeit bei den Erwachsenen verbrachte, während die Kinder es früher oder später immer irgendwie schafften, Sarah von eben dort weg zuholen. Vielen der Kinder aus der Nachbarschaft war Sarah als Babysitterin bekannt, was auch meistens der Grund für ihre Einladung war. Die Kinder mochten sie vor allem wegen ihrer offenen und lustigen Art, und wahrscheinlich waren sie auch neugierig, wie denn das junge Mädchen aus Übersee so war. Ganz davon abgesehen, dass Sarah mit ihren 21 Jahren nicht so viel älter war, und es war für die Kinder einfach unendlich cool, eine so erwachsene Freundin wie Sarah zu haben.
Sean hatte gerade die Klingel gedrückt, als Paul den beiden auch schon öffnete.
"Hey, kommt doch rein." begrüsste er Sarah und Sean. Die beiden waren extra ein wenig früher gekommen, damit Sarah Jeanie noch ein wenig zur Hand gehen konnte. Die beiden traten ein, und Paul rief nach Daryll, der im Wohnzimmer saß und ein Videospiel spielte. Freudig kam er angelaufen, als er hörte, dass Sarah da war, und seine Freude schien noch mehr zu wachsen, nachdem Sarah und Sean – nachdem sie ihm gratuliert hatten – sein Geschenk überreichten. Trotz der Ermahnung seines Vaters, es erst später zu öffnen, riss Daryll das Geschenkpapier sofort auf und freute sich riesig über die von Sarah besorgte Spielzeugfigur, was er ihr mit einer kräftigen Umarmung dankte. Sarah musste lachen, dann verschwand Daryll wieder zu seinem Videospiel. Sean und Paul entschuldigten sich in den Garten, um den Grill an zuwerfen, und Sarah ging in die Küche, wo Jeanie gerade das Fleisch für das Barbecue auspackte.
"Hey Jeanie." begrüsste Sarah Daryll’s Mutter. Die drehte sich um und lächelte zur Begrüßung zurück.
"Hey Sarah, schön das ihr kommen konntet. Daryll hat sich total auf euch gefreut." meinte sie.
"Ja, hab’ ich gemerkt." lächelte Sarah und erinnerte sich wieder, wie Daryll sie vor nicht mal einer Minute gedrückt hatte. "Wo darf ich den denn abstellen?" fragte sie dann und präsentierte stolz den Schokoladenkuchen, den sie gestern Abend noch gebacken hatte.
"Oh schön, du hast auch gebacken. Das ist gut, danke. Hmm, warte mal…" meinte Jeanie und blickte dann suchend durch die Küche. Fast jedes sonst freie Plätzchen war bereits mit Tellern zugestellt worden, die die eine oder andere Leckerei auf sich trugen. Alleine drei Torten standen direkt neben dem Fleisch, das Jeanie eben noch aus der Folie geschält hatte. "Stell’ den Kuchen einfach mal hier hin." sagte Jeanie und schob die drei anderen Kuchenteller soweit möglich zur Seite, und der so geschaffene Platz reichte dann auch gerade mal so für Sarah’s Kuchen.
"Das ist ganz schön viel…" meinte Sarah anerkennend, nachdem sie den Kuchen abgesetzt hatte.
"Es kommen auch viele Gäste." erklärte Jeanie. "Daryll hätte wohl noch mehr Freunde eingeladen, wenn er gekonnt hätte." lachte sie.
"Kann ich dir vielleicht behilflich sein?" erkundigte Sarah sich.
"Du kannst die Muffins fertig machen, wenn du möchtest." freute Jeanie sich über Sarah’s Angebot. "Du brauchst sie nur von dem Blech zu nehmen und mit ein paar Schokosträuseln verzieren."
Sarah machte sich sogleich daran, Jeanies Bitte nachzukommen, und die beiden Frauen beeilten sich, auch alles andere fertig zuzubereiten, bis die restlichen Gäste eintreffen würden.
Unterdessen hatten Paul und Sean den Grill angeworfen und sich auch schon die erste Ladung Fleisch aus der Küche geholt, damit die hungrigen Gäste später nicht zu lange auf ihre Verpflegung warten mussten. Es dauerte auch nicht lange, bis die Ersten kamen, und nicht ganz eine halbe Stunde später waren alle Geladenen anwesend. Die meisten hatten so wie Sarah ebenfalls irgendetwas zu essen mitgebracht, so dass es daran sicher nicht fehlen würde. Allein neun verschiedene Geburtstagskuchen türmten sich mittlerweile in Jeanie’s Küche, ganz zu schweigen von all den anderen Leckereien, die für das Barbecue oder danach mitgebracht worden waren.
Daryll hatte nicht weniger als 17 Freunde eingeladen, von denen Sarah gut die Hälfte kannte, und dementsprechend voll war es jetzt im Garten der Hendersons geworden. Paul hatte in weiser Voraussicht vier große Tische aufgestellt, drei für die Erwachsenen und einen für die Kinder, an denen nun alle Anwesenden saßen. Nur Paul, Jeanie, Sean und Sarah waren noch auf den Beinen und gaben das Essen aus, Paul und Sean an die Erwachsenen, Jeanie und Sarah an die Kinder.
Nachdem soweit jeder etwas auf dem Teller hatte, konnten auch Paul, Jeanie, Sean und Sarah Platz nehmen. Sarah wollte sich natürlich zu Sean setzen, aber Daryll bestand darauf, dass sie neben ihm sitzen solle. Natürlich gab Sarah Daryll’s Wunsch nach, obwohl sie lieber bei Sean und den anderen Erwachsenen gesessen hätte. Aber Daryll war nun einmal das Geburtstagskind, und so blieb ihr letztlich keine Wahl.
So nahm die Feier ihren Lauf, und zunächst sollte einmal gegessen werden. Jeanie hatte mehr als genug für alle gekauft und die Gäste auch noch einiges mehr mitgebracht, und so war absehbar, dass wirklich ein jeder der Anwesenden bereits nach dem Barbecue satt sein würde. Paul wurde bald wieder an den Grill beordert, um für Nachschub zu sorgen, und so bestand die erste Stunde von Daryll’s Geburtstagsparty nur darin, alles Grillfleisch auf zuessen. Jeanie hatte natürlich auch nicht gegeizt, was die Beilagen anging. Pommes Frites, Kartoffeln und Kartoffelbrei und sogar etwas Salat standen zur Auswahl. Alles in allem war es dann genug, dass am Ende sogar noch etwas übrig blieb und dennoch alle wirklich satt geworden waren.
Nachdem alle Gäste verköstigt worden waren durfte Daryll zu seiner großen Freude endlich seine Geschenke auspacken. Er freute sich mächtig über jedes seiner Geschenke, und nachdem er alles ausgepackt, begutachtet und für gut empfunden hatte, war es an der Zeit, dass die Eltern und die Kinder jeder für sich weiter feierten. Während die Erwachsenen sich mit der Zeit mehrheitlich nach innen begaben um sich zu unterhalten, blieben die Kinder im Garten, um sich bei einigen Partyspielen zu vergnügen. Auch Sarah, die zunächst mit Sean zu den anderen ins Haus gegangen war, fand sich bald wieder bei Daryll und seinen Freunden, nachdem man sie gewissermaßen als Spielleiterin wieder nach draussen geholt hatte.
Während also die restlichen Erwachsenen im Haus der Hendersons vor sich hin feierten, kam Sarah nun die Aufgabe zu, die Kinder zu beschäftigen und auch selbst an den Partyspielen teilzunehmen. Mittlerweile kannte sie so einige Spiele, die man hier auf Kindergeburtstagen üblicherweise veranstaltete, und so sollte der Nachmittag alles andere als langweilig werden. Die wenigsten der Spiele unterschieden sich sonderlich von denjenigen, die Sarah früher auf ihren eigenen Geburtstagen mitgemacht hatte, und die meisten davon, so musste Sarah zugeben, machten auch immer noch Spaß. Lediglich als die Kinder Fangen spielen wollten, da zeigte Sarah sich wenig begeistert. Sarah war auch so nicht besonders sportbegeistert, und jetzt mit Kindern in diesem Alter ein derart anstrengendes Spiel zu spielen war nicht das, was sie sich nach dem üppigen Barbecue gewünscht hatte. Trotzdem wollte Sarah natürlich keine Spielverderberin sein, und so versuchte sie, ihr Bestes zu geben, auch wenn sie bei weitem nicht mit dem Bewegungsdrang der Kinder mithalten konnte. Als sie selbst an der Reihe war, die anderen zu fangen, dauerte das Spiel daher auch ungleich länger als in den Runden zuvor, und als sie endlich alle abgeschlagen hatte, da musste Sarah sich erst einmal setzen und verschnaufen. Situationen wie diese gehörten zu den unangenehmeren Dingen, die ihr jetziges Gewicht mit sich brachte.
"Kannst du nicht mehr?" fragte Daryll, der zu seiner älteren Freundin herüber gekommen war.
"Nein, leider… ich muss ein bisschen verschnaufen." lächelte Sarah ihn an. "Macht doch mal eine Runde ohne mich." schlug sie dann vor.
"Och, dann ist es aber nicht so lustig." meinte Daryll enttäuscht. Unterdessen war Ron, einer von Daryll’s Freunden, ebenfalls zu den beiden herüber gekommen, um zu fragen, ob es weitergehen könne. "Sarah braucht eine Pause." erklärte Daryll seinem Freund.
"Vielleicht sollten wir was anderes spielen?" meinte Ron. "Völkerball vielleicht?"
"Oh ja, das ist eine tolle Idee!" freute Daryll sich, doch Sarah winkte ab.
"Da müssen wir ja schon wieder laufen…" meinte sie und lächelte entschuldigend. "Gibt’s nichts anderes, das wir spielen könnten?"
Mittlerweile hatten sich auch die übrigen von Daryll’s Freunden um ihn und Sarah versammelt. Sie blickten Sarah erwartungsvoll an, so als käme die Wahl des nächsten Spiels ihr zu. Also überlegte sie kurz. "Wie wär’s mit Verstecken?" schlug sie vor.
"Au ja!" antworteten einige, aber Verstecken wollte Daryll nicht spielen. "Das ist langweilig." Ron stimmte ihm zu, und so musste ein neuer Vorschlag her.
"Wollen wir eine Wasserschlacht machen?" fragte Kevin, ein anderer von Daryll’s Freundin.
Daryll schüttelte den Kopf. "Das erlaubt Dad bestimmt nicht."
"Ich kann ihn ja mal fragen gehen." sagte Sarah, und die Kinder freuten sich darüber. Sarah stand auf und ging zu Paul, der noch am Grill stand und diesen auskühlen ließ.
"Eine Wasserschlacht?" fragte Paul. "Naja, das ginge schon. Ich müsste nur den Grill beiseite schaffen. Was haltet ihr denn davon, ich räume den Grill weg, und derweil könnt ihr ein bisschen Geburtstagskuchen essen?"
"Au ja!" riefen die Kinder einstimmig und freuten sich über Paul’s Erlaubnis.
"Na gut, dann setzt euch mal in der Zwischenzeit wieder an euren Tisch, ich hol’ dann gleich den Kuchen."
Also setzten sich alle wieder an den Tisch. Sarah wollte die Gelegenheit nutzen, sich für eine Weile nach drinnen zu verabschieden, doch die Kinder waren sich darin einig, dass Sarah ihnen Gesellschaft leisten sollte. So kam es, dass sie wenig später mit den anderen am Tisch saß und wie die anderen auch ein Stück Torte aß.
"Hey, hey, ich hab’ eine Idee!" rief Jake, der zwei Plätze neben Daryll saß. "Wir könnten ein Wettessen machen, wer schneller essen kann."
Im Gegensatz zu den anderen war Sarah von der Idee wenig begeistert, immerhin hatten sich die Eltern sicher wenigstens etwas Mühe gegeben, als sie die Kuchen gebacken hatten, und wahrscheinlich hatten sie nicht geplant, dass die Kuchen für ein solches Spiel herhalten mussten. Aber nachdem alle dafür waren, gab Sarah sich geschlagen.
"Ok, dann ich bestimme die Regeln." entschied Daryll. "Wir machen immer einer gegen einen, und wer als erster fertig ist, hat gewonnen. Ich will anfangen, gegen Ron."
Eine Minute später aßen Ron und Daryll um die Wette, während die restlichen Kinder um sie herum saßen und entweder den einen oder den anderen mit ihren Rufen lautstark anfeuerten. Daryll gewann das Wettessen und freute sich riesig darüber. Als nächstes aß Jake mit Diedra um die Wette und gewann, danach schlug Kevin in der gleichen Disziplin Alan.
"Du musst auch mal!" sagte Daryll und blickte Sarah an. Sarah schüttelte erst den Kopf, aber Daryll ließ ihren Widerspruch nicht gelten. "Doch, du musst. Ich hab’ Geburtstag, und jeder muss mal."
"Also gut." lachte Sarah, die sich nicht zuletzt wegen der Anfeuerungsrufe der anderen überzeugen ließ.
"Ok, dann musst du gegen Carl." bestimmte Daryll. Carl, ein kleiner, rundlicher Junge grinste Sarah siegesgewiss an, und nachdem beide sich ein Stück Kuchen genommen hatten, da ging es auch schon los.
Obwohl Carl sich beeilte, konnte er nicht mit Sarah’s Geschwindigkeit mithalten, und schnell lag Sarah in Führung. Es war zwar kein Vergleich zu den Wettessen, die sie mit ihrer Schwester abgehalten hatte, machte aber mindestens genauso viel Spaß. Angespornt durch das Geschrei der Kinder fand sich Sarah schnell ganz in ihrem Element. Nach einem kurzen Blick auf ihren Konkurrenten, der jetzt deutlich zurück lag, entschied Sarah sich dann aber, langsamer zu machen und Carl gewinnen zu lassen. Ihr war es nicht so wichtig, als Siegerin aus diesem Wettkampf heror zugehen, dafür aber freute sich Carl umso mehr, als er erkannte, dass er seinen Rückstand erst wettmachte und schließlich Sarah überholte. Sarah hatte verloren, aber alle waren glücklich.
"Ich will auch mal gegen dich." meinte Daryll dann zu Sarah, die lachen musste.
"Aber ich hab’ doch gerade schon, lass’ erst die anderen mal."
"Nein, jetzt will ich gegen dich." antwortete Daryll trotzig, und so kam es, dass Sarah sogleich ein zweites Mal ran musste. Auch dieses Mal gewann sie nicht, obwohl sie es leicht gekonnt hätte. Daryll war der strahlende Sieger, und Sarah war nach nunmehr drei Stücken Kuchen im Anschluss an das Barbecue gut gesättigt.
Allerdings sollte es nicht dabei bleiben. Offensichtlich hatten die Kinder in Sarah eine Gegnerin ausgemacht, die leicht geschlagen werden konnte, und so kam es, dass Sarah trotz ihrer Einwände sogleich ein weiteres Mal herausgefordert wurde. Dieses Mal wollte ein Mädchen namens Maxine gegen sie antreten, und nachdem Sarah erneut verloren hatte, musste sie sich mit einem Jungen namens Brad messen.
In gleichem Maße, wie sich die Kinder über ihre ständigen Siege gegen Sarah freuten, merkte Sarah, dass sie langsam aber sicher begann, sich mehr als satt zu fühlen. Sie hatte schon lange nicht mehr so viel gegessen wie sie es am heutigen Nachmittag bisher getan hatte, was auch daran lag, dass sie ohnehin schon etwas zu mollig war und deswegen aufpassen musste. Davon abgesehen hatte sie in letzter Zeit wenig Gelegenheit gehabt, ihrer Vorliebe nachzugehen, so dass sie gewissermaßen aus der Übung war. Nicht zuletzt lag ihr auch das Grillfleisch immer noch ziemlich im Magen. Wenn es nach Sarah gegangen wäre, dann hätten sie dieses Spiel jetzt also gut und gerne beenden können. Trotzdem schaffte sie es nicht, nein zu sagen, als sie ein weiteres Mal herausgefordert wurde – abermals von einem Mädchen, Cassandra.
Sarah hätte sicher nicht zugesagt, wenn sie sich nicht sicher gewesen wäre, dass das Spiel dann vorüber sein würde. Es waren nur noch zwei Stücke übrig, so dass Cassandra und sie offenbar die letzten sein würden, die dieses Spiel spielten. Womit Sarah allerdings nicht gerechnet hatte war, wie begeistert die Kinder mittlerweile davon waren. Ein jeder, der gegen Sarah antrat, gewann, und dieses Erfolgserlebnis schien sich keines der Kinder entgehen lassen zu wollen. So kam es, dass diejenigen, die noch nicht gegen Sarah angetreten waren, sich im Haus jeweils ein neues Stück Kuchen geben ließen, nicht ohne zu vergessen, ein zweites für Sarah mitzunehmen. Jeanie, die in der Küche stand und die Stücke verteilte, wunderte sich zwar ein wenig über den plötzlichen Heisshunger, den die Kinder auf die süßen Kalorienbomben entwickelten, war aber zugleich froh, da so wenigstens nichts oder zumindest nicht zu viel übrig bleiben würde.
So wurde Sarah ein ums andere Mal herausgefordert und musste ein ums andere Kuchenstück verdrücken. Sie bemerkte, dass sie mittlerweile satt genug war, um nicht mehr absichtlich verlieren zu müssen. Selbst, wenn sie es gewollt hätte, so wäre sie jetzt nicht mehr als Siegerin aus den Wettkämpfen hervor gegangen. Während die Kinder allesamt nur ein oder maximal zwei Kuchenstücke gegessen hatten, war Sarah bereits bei ihrem elften angelangt und damit so voll wie lange nicht mehr. Was für ein Glück, das die einzelnen Kuchenstücke nicht zu groß gewesen waren. Jedes Mal, wenn sie aufgeben wollte, dann bestanden Daryll und die anderen aber darauf, dass sie nur noch ein letztes Mal mitmachte, und Sarah ließ sich jedes Mal wieder dazu überreden. Selbst, als sie merkte, wie ihr allmählich schlecht wurde von all dem Kuchen, da brachte sie es nicht fertig, so einfach nein zu sagen und den Kindern damit ihren Spaß zu nehmen.
Irgendwann, nachdem Sarah etliche Male an diesem Spiel teilgenommen und verloren hatte, da war sie so voll, dass sie einfach nicht mehr weiterspielen konnte. Die Kinder waren zwar enttäuscht, aber egal wie sehr sie bettelten, Sarah konnte einfach nicht mehr und musste jetzt wohl oder übel ablehnen. Es machte Sarah zwar ein wenig traurig, dass sie damit den Spaß der Kinder zunächst einmal beenden musste, aber sie brachte einfach nichts mehr hinunter. Sie hatte längst gemerkt, dass ihr Bauch sich nun gut gefüllt wie in früheren Zeiten zu einer kleinen, prallen Halbkugel rundete, und sie war wirklich froh, dass sie heute ein relativ weites Kleid und nicht wie üblich enge Jeans trug. Wenigstens schaffte sie es noch einmal, die Kinder zu erheitern, als sie am Ende dieses Spiels laut rülpsen musste. Erst war es ihr ein wenig peinlich, aber dann entschied sie sich, mit den Kindern mit zulachen.
Am nächsten Spiel – Daryll war jetzt damit einverstanden, Verstecken zu spielen, aber nur, wenn er nicht suchen musste – nahm Sarah nicht teil. Sie blieb noch eine Weile am Tisch sitzen und beobachtete die Kinder, die sich jetzt bei dem Spiel vergnügten, das sie schon vorhin lieber gespielt hätte. Während sie so da saß und die Kinder beobachtete, wurde Sarah ihr voller Magen erst richtig bewusst. Vorhin war es ihr gar nicht so aufgefallen, da sie sich zu sehr auch auf die Kinder rings um sich konzentriert hatte. Jetzt aber machte ihr überfüllter Magen sich doch recht unangenehm bemerkbar. Zum ersten Mal seit langer Zeit hatte Sarah es mal wieder übertrieben, und zwar gleich so, dass ihr Magen richtig schmerzte. Manchmal fragte sie sich, was sie an dieser Sache eigentlich fand. Natürlich wusste sie es – aber das heutige Gelage hatte damit wenig zu tun gehabt. Wie dem auch war, es war an der Zeit, sich auch mal drinnen blicken zu lassen. Ganz davon abgesehen, dass Sarah sich gerade fühlte, als müsse sie sich jeden Moment übergeben, und wenn sie das schon tun musste, dann wollte sie dafür wenigstens die Toilette aufsuchen. Schwerfällig erhob sie sich und machte sich auf den Weg ins Haus.
* * *
Sarah trottete satt zu Jeanie in die Küche und ließ sich dort auf einem der Barhocker neben der Diele nieder. Als Jeanie Sarah erblickte, lächelte sie.
"Und, hattet ihr Spaß?" fragte sie ihre junge Freundin.
"Ja, hatten wir." seufzte Sarah und lächelte etwas gequält.
Jeanie hatte gerade damit begonnen, die Nachspeisen her zurichten, zu denen auch die Muffins gehörten, die Sarah vorhin mit Schokoladensträuseln verzieren hatte dürfen, doch bereits der Anblick und noch mehr der Duft der Muffins erinnerten Sarah im Moment unangenehm daran, wie voll sie war. Jeanie stellte eines der Tabletts mit den Muffins vor Sarah ab. "Hier, möchtest du vielleicht?" fragte sie Sarah dann.
Sarah schüttelte den Kopf. "Nein danke, im Moment nicht…"
"Ist etwas, Sarah?" fragte Jeanie, blickte Sarah leicht besorgt an und bemerkte dann: "Du siehst ein bisschen blass aus."
"Es geht schon," meinte Sarah lächelnd, "mir ist nur ein bisschen schlecht…"
"Hast du vielleicht was falsches gegessen?" hakte Jeanie nach.
Sarah seufzte und atmete tief in ihren vollen Bauch, dann sagte sie: "Nichts falsches, nur ein bisschen zu viel." Dann erzählte sie Jeanie von dem Kuchenwettessen, an dem sie soeben teilgenommen hatte. Jeanie hörte sich Sarah’s Bericht aufmerksam an, und sie konnte sich eines Schmunzelns nicht erwehren.
"Ach Kindchen," meinte sie mitfühlend, nachdem Sarah fertig war, "wieso hast du nicht einfach Nein gesagt?"
Sarah zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung… jedenfalls hatten Daryll und die anderen ihren Spaß…"
"Das glaube ich gerne." schmunzelte Jeanie. "Naja, ich denke ich tu’ die jetzt trotzdem mal weg, nicht dass… naja, du weißt schon…"
Damit nahm sie das Tablett mit den Muffins aus Sarah’s Blickfeld, die froh war, nichts essbares mehr sehen zu müssen.
Jeanie brachte die Muffins zu den anderen Gästen, dann kam sie zurück zu Sarah in die Küche. Die beiden unterhielten sich noch eine Weile, bis schließlich die Party allmählich zu Ende ging und auch die Gäste sich verabschiedet hatten. Als Letzte verließen Sean und Sarah die Party, nachdem sie zuerst noch beim Aufräumen helfen wollten. Da Sarah aber all der Kuchen immer noch ziemlich im Magen lag, verzichtete Jeanie vorsorglich auf Sarah’s Hilfe und schickte die beiden nach Hause.
"Kümmer’ dich ein bisschen um sie." meinte Jeanie zu Sean, der ja noch nicht wusste, was vorgefallen war. Zu Hause erzählte Sarah es ihm, und erst jetzt fiel Sean auf, dass Sarah’s Bauch sich unter ihrem Kleid deutlich mehr rundete als vor der Party.
"Und du hast nicht einmal gewonnen?" neckte er sie. "Ich glaube, wir müssen mal wieder ein bisschen trainieren…" Sean blinzelte seiner Frau zu und grinste verschwörerisch.
"Gern, aber heute nicht mehr – ich hätte eher Lust auf was anderes…" meinte sie, drückte sich ganz fest an Sean und begann damit, ihn zu küssen und zu streicheln.