Gedanken – Im Zweifel für den Angeklagten

Man sagt: Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Und über Geschmack lasse sich bekanntlich nicht streiten. Dennoch gibt es in unserer Zeit – wie in jeder anderen Epoche zuvor auch – ein bestimmtes Schönheitsideal. Das gängige Ideal dürfte hinlänglich bekannt sein, es wird uns jeden Tag vor Augen geführt: in Zeitschriften, Filmen und vor allem der Werbung werden wir immer wieder darauf hingewiesen, dass nur wer schlank ist schön ist und nur wer beides ist erfolgreich sein kann. Ich will mich hier nicht in die scheinbar endlose Diskussion einmischen, inwieweit dieses Ideal auch wirklich ein solches ist. Und schon gar nicht will ich in das Geschrei all derer einstimmen, die den Medien die Schuld am aktuellen Schönheitsideal zuweisen.

Im Gegenteil, ich stelle die Frage: sind wirklich die Medien schuld daran, wenn wir uns schlecht fühlen, weil wir nicht so aussehen wie der smarte Schönling aus Hollywood und die super scharfe Sexbombe in seinen Armen?

Ich behaupte: nein. Wahrscheinlich wird der eine oder andere jetzt ein wenig verwundert sein. Wie kann es sein, dass der allseits auserkorene Buhmann – noch dazu auf einer Seite wie dieser hier – in Schutz genommen wird?

Nun, das ist ganz einfach. Zum einen glaube ich, dass die Medien wie jedes andere wirtschaftlich tätig werdende Unternehmen primär an der Gewinnerzielung bzw. Gewinnmaximierung interessiert sind. Folglich werden die Medien versuchen, uns das zu zeigen, was wir sehen wollen. Das heisst, die Medien zeigen uns das, was die Mehrheit sehen will. Denn nur so ist sichergestellt, dass Zeitschriften, Fernsehen und Film über die Werbung eben jenen beabsichtigten Gewinn einfahren können.

Ich behaupte: die Mehrheit will schlanke Menschen sehen. Wer sich jetzt vor den Kopf gestoßen fühlt, dem sei gesagt: nur weil man nicht zur Mehrheit gehört, ist man nicht automatisch unnormal oder gar abnormal. Dennoch steht fest, dass ein durchschnittlicher Mann und eine durchschnittliche Frau aus eigentlich relativ primitiven Gründen eher zur Schlankheit tendieren, zumindest was den Geschmack angeht. Primitive Gründe deshalb, weil sie angeboren sind und seit Jahrtausenden in unseren Genen verankert sind. Primitiv auch deshalb, weil die Gründe in einem unserer beiden Urinstinkte liegen. Der eine davon lässt uns täglich Kalorien in Energie umwandeln: Hunger. Der andere Trieb – und um den geht es hier – dient vornehmlich der Erhaltung unserer Art: der Fortpflanzungstrieb. Wie aber hängt der Fortpflanzungstrieb mit dem Wunsch nach einem schlanken Partner bzw. einer schlanken Partnerin zusammen?

Um dies zu beantworten zu können muss man lediglich darüber nachdenken, wie wir auf sexuelle Reize reagieren bzw. warum. In Anbetracht der Tatsache, dass jedes Lebewesen daran interessiert ist, seine Gene weiterzugeben, ist es nicht verwunderlich, dass dabei ein gewisser Egoismus entsteht. Für einen Mann ist insofern wichtig, dass er eine Partnerin wählt, die noch nicht vergeben ist oder gar bereits das Kind eines anderen in sich trägt. Genau das aber ist der Punkt, denn seit Urzeiten symbolisiert damit ein flacher Bauch (bzw. eben das Verhältnis von Hüfte zu Taille, auf das ich in "Das Problem mit den Problemzonen" schon hingewiesen habe) bei einer Frau, dass diese noch nicht schwanger ist und somit als mögliche Partnerin in Frage für den Mann kommt. Der kugelige Bauch einer schwangeren Frau hingegen deutet dem Mann, dass er hier seine Gene zumindest vorerst nicht mehr weitergeben kann. Die logische Folge daraus ist also, dass die Mehrheit der Männer bei zu runden Frauen nicht mehr so stark sexuell erregt wird. Frauen umgekehrt suchen instinktiv einen Versorger für sich und ihr Kind. Dieser Aufgabe kamen Männer früher durch die Jagd nach. Um bei der Jagd erfolgreich zu sein, bedurfte es einer gewissen "Sportlichkeit", die durch eine "raubtierartige" Körperform unterstützt wurde. Diese Körperform, heute oft als V-Form bezeichnet (schmale Hüfte, breites Kreuz), übt nach wie vor eine sexuelle Anziehungskraft auf die meisten Frauen aus, selbst wenn sie sich dessen gar nicht bewusst sind. Die einschlägige Literatur bestätigt das Vorhandensein dieser Instinkte bei uns.

Soweit, so gut. Ausgehend von diesen Annahmen zeigen uns die Medien tatsächlich Ideale. Wenn dem aber so ist – warum wird dann von vielen Seiten derart gegen das gängige Ideal protestiert und den Medien immer wieder die Schuld zugewiesen?

Die Antwort darauf könnte lauten: weil die Medien als unmittelbarer Anbieter dieses Ideals die Verantwortung dafür tragen. Doch geht diese Annahme fehl. Denn wie ich oben erwähnt habe, zeigen uns die Medien nur das, was wir sehen wollen. Man muss sich dabei vor Augen halten, wie die Medien grösstenteils finanziert werden: über die Werbung. Die Werbung aber rührt von der Industrie her.

Auch die Industrie hat eine Interesse an der Erzielung und Maximierung von Gewinnen. Folglich muss die Industrie Methoden finden, wie sie ihre Produkte möglichst gewinnbringend bewerben kann. Schon vor Jahrzehnten hat man dabei entdeckt, dass dies am besten dadurch erfolgen kann, indem man eine emotionale Bindung des möglichen Käufers zum Produkt herstellt. Diese Bindung kann auch dadurch erfolgen, dass schlicht und einfach unsere angeborenen Instinkte ausgenutzt werden. Zu welch irrsinnigen Werbemaßnahmen dies geführt hat, kann man jeden Tag u.a. im Fernsehen selbst überprüfen: ein gewöhnlicher Werbeblock enthält mindestens einen Werbespot, in dem schlanke (zumeist weibliche) Menschen irgendwelches Essen verzehren. Dabei erwähnen sie beiläufig, wie gesund das Essen ist, und das man dabei zumindest nicht zunimmt, wahrscheinlich sogar abnimmt (und sich damit dem vorprogrammierten Ideal wieder annähert). Darauf könnte ein Werbespot für ein Medikament folgen (am besten eines gegen Magenverstimmungen durch zu fettes Essen). Als nächstes sehen wir das goldene M einen bekannten Fast Food Anbieters, gefolgt vom Aufruf der Weight Watchers, endlich auch mal eines ihrer Treffen zu besuchen.

Dass wir diese Werbungen sehen ist nicht die Schuld des Fernsehens, es ist die Schuld der Industrie und die von uns selbst. Von der Industrie, weil sie uns mit unseren eigenen Instinkten manipuliert, von uns selbst, weil wir uns manipulieren lassen. Die Medien sind lediglich das Werkzeug, das aus uns vor allem eines gemacht hat: Konsumenten.

Es bleibt abzuwarten, ob sich hieran etwas ändern wird. Manch einer glaubt, derzeit einen Wandel "in den Medien" ausmachen zu können, es gehe wieder mehr zu runderen Formen hin. Das wage ich zu bezweifeln. Ein Spiegelbild der Gesellschaft bietet sich uns in der Werbung schon lange nicht mehr: etwa 60% der Bundesbürger sind medizinisch gesehen übergewichtig. Und dennoch verfolgt uns ein Schönheitsideal, dass bei vielen nurmehr Abneigung und Unzufriedenheit auslöst – weil wir das von der Natur vorgegebene Ideal nicht mehr erreichen.

So unschön all diese Überlegungen auch klingen mögen: man kann diesem Teufelskreis entkommen. Zum einen muss man sich darüber bewusst sein, dass es nicht notwendig ist, diesem Ideal zu entsprechen (vgl. auch "Das Problem mit den Problemzonen"). Abweichungen sind vollkommen normal und auch von der Natur erwünscht: nur so ist ein umfassender Schutz bei der Erhaltung der Art Mensch gewährleistet. Unsere technischen Möglichkeiten mögen um ein vielfaches weiterentwickelt sein als noch vor Jahrtausenden, doch unsere Instinkte sind es noch lange nicht. Deswegen schadet es wie zu Beginn bereits erwähnt auch nicht, wenn man ein paar Pfunde mehr oder weniger auf den Rippen hat oder sich eher zu runderen Formen hingezogen fühlt. Zum anderen darf man auch gerne die Dinge hinterfragen. Man muss sich schließlich nicht für dumm verkaufen lassen – Konsumentenstatus hin oder her.

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