Wie jedes Jahr hatte ich auch in jenem Jahr geplant, wenigstens ein paar Tage meines Urlaubes in Italien zu verbringen. Schon seit meiner Kindheit – damals noch mit meinen Eltern – tat ich dies jedes Jahr. Doch auch als ich älter wurde, änderte ich nichts daran. Sicherlich, es gab viele andere Länder auf dieser Erde zu sehen. Soweit es meine finanziellen Möglichkeiten zuließen, bereiste ich sie daher auch. Einmal im Jahr aber musste ich einfach in mein geliebtes Italien fahren. Ich mochte Land und Leute, und darauf zu verzichten – das hätte ich nicht fertig gebracht. So hatten meine Freundin und ich auch heuer relativ früh den Urlaub dorthin geplant und gebucht. Doch leider – oder sollte ich besser sagen: zum Glück? – kam dann alles ganz anders.
Alles begann in einer Aprilwoche an einem Freitag. Ich saß abends in meiner Stammkneipe und hatte bereits einige Drinks intus. Normalerweise trank ich nicht, aber heute hatte ich das gebraucht. Der Tag hatte gut angefangen, doch da hatte ich noch nicht geahnt, welche Überraschung er noch für mich parat halten würde. Ich hatte an diesem Tag ein Fernseminar erfolgreich abgeschlossen und mich gefreut, etwas früher als erwartet nach Hause zurückzukommen. Voller Vorfreude war ich am Bahnhof aus dem Zug gestiegen und hatte mir ein Taxi genommen, um möglichst rasch zu meiner Freundin nach Hause zu kommen. Im Nachhinein betrachtet war das wahrscheinlich gut so, doch als ich damals meine Freundin und ihren Liebhaber in unserem gemeinsamen Bett erwischte, war ich verständlicherweise alles andere als erfreut. Es folgte ein Riesenstreit, der darin endete, dass ich Hals über Kopf aus der Wohnung stürmte und erstmal Abstand suchte. So war es kein Wunder, dass ich schließlich hier gelandet war. Vor mir stand bereits das vierte Glas Whiskey, obwohl ich erst knapp 20 Minuten hier war, und wenn nicht mein bester Freund Arno mich davon abgehalten hätte, dann hätte ich wohl den ganzen Abend weiter gesoffen.
"Nun mach’ dir mal keinen Kopf, das wird schon wieder." versuchte er mich auf zumuntern. "Ich hab’s ja immer gesagt, die ist nicht die richtige für dich."
Damit mochte er Recht haben, doch was half das einem, der soeben seine Freundin verlassen hatte?
"Vielleicht hast du Recht." sagte ich und gab gleichzeitig dem Barkeeper zu verstehen, dass er nochmal nachschenken sollte. "Ich verstehe nur nicht, warum sie das getan hat…" Der Barkeeper füllte mein Glas ein weiteres Mal, und ich wollte gerade davon trinken, als Arno meinen Arm fest hielt.
"Langsam, alter Junge. Ich will dich hier nicht raus tragen müssen." Er lockerte den Griff, und ich stellte das Glas wieder ab. "Ich hab’s dir immer gesagt: Jenny nützt dich nur aus. Die wollte immer nur dein Geld. Du warst ihr doch total egal. Du solltest lieber froh sein, dass du sie los bist."
Arno hatte Jenny nie gemocht, und es war nur logisch, dass er so über sie sprach. Trotzdem hatte er wahrscheinlich Recht. Dafür, dass ich gerade erst mein Studium beendet hatte, hatte ich es schon recht weit gebracht. Ich hatte eine eigene Wohnung – in der jetzt Jenny und dieser andere Kerl saßen! – und einen gut bezahlten Job mit vielversprechender Perspektive. Jenny selbst studierte noch, und da sie weder von ihren Eltern noch vom Staat Unterstützung bekam, war ihr mein Geld natürlich gerade recht. Insbesondere, weil sie keine Lust hatte, nebenbei zu arbeiten. Das hatte mir bis vor einer Stunde auch nichts ausgemacht. Jetzt aber hatten sich die Dinge geändert. Es war fast, als half mir der Alkohol, dies zu erkennen. Natürlich stimmte das nicht, und ich würde morgen mit mordsmäßigen Kopfschmerzen aufwachen, aber für den Moment war es ein schöner Gedanke.
"Naja, noch bin ich sie ja nicht los. Die vergnügt sich wahrscheinlich immer noch mit diesem Hallodri in unserem – ich meine, meinem! – Bett!" stellte ich fest.
"Wenn ich dir einen Rat geben darf: wirf sie raus. Und auch ihre Sachen."
"Klar. Gleich, wenn ich nach Hause komme."
"Und das ist nicht bloss eine leere Drohung?" hakte Arno nach. "Ich kenn’ dich ja, du bist viel zu gutmütig."
Ich schüttelte den Kopf. "Diesmal bestimmt nicht. Die kann ihre Sachen packen, und zwar subito!" Arno und ich mussten beide lachen, denn mit subito – dem italienischen Wort für "sofort" – verbanden wir eine unserer wahrscheinlich amüsantesten Erfahrungen während einer Studienfahrt nach Italien. Leider fiel mir in diesem Moment auch noch etwas anderes ein.
"Ach, verdammter Mist!" ärgerte ich mich.
"Was ist denn?" fragte Arno.
"Na weil Jenny und ich doch in drei Wochen nach Italien fahren wollten. Ist doch alles schon gebucht, und absagen geht auch nicht wegen der Anzahlung." erklärte ich.
"Und wenn du alleine fährst?" meinte Arno.
"Hmm ja das ginge natürlich, wäre aber wohl nur halb so lustig. Was ist denn mit dir?" schlug ich vor.
"Tut mir leid, ich bin in der Zeit leider nicht abkömmlich. Großprojekt in der Firma, weisst du." lehnte Arno ab.
"Ach so. Naja, wäre wohl eh nicht so eine gute Idee gewesen. Unser Zimmer hätte ja nur ein Doppelbett." Wieder mussten wir lachen, denn auch mit diesem Begriff verbanden wir eine amüsante – wenngleich auch etwas peinliche – Erinnerung an eben dieselbe Studienfahrt.
"Ich hab’ da vielleicht eine Idee." meinte Arno, nachdem wir uns wieder beruhigt hatten.
"Ja?"
"Mach’ doch einen Blind-Date-Urlaub."
"Einen was?" fragte ich nach.
"Einen Blind-Date-Urlaub. Das ist momentan total in Mode. Man fährt mit irgend jemandem, den man noch nie zuvor gesehen hat, in den Urlaub. Hab’ ich erst kürzlich im Fernsehen gesehen, viele Singles machen das jetzt so. Das wäre auch was für dich." erklärte Arno.
"Na du bist lustig. Und wie soll das ablaufen?" erkundigte ich mich.
"In der Sendung hatten sie gesagt, da gäbe es eine Internetplatform, über die das läuft. Der Name war… ach, Mist, hab ich vergessen. Aber wenn du ein bisschen suchst, dann findest du bestimmt was."
"Hmm ja mal sehen." antwortete ich skeptisch. Die Idee wäre vielleicht gar nicht so schlecht gewesen, aber im Moment hatte ich von Frauen erst mal die Nase gestrichen voll.
Wir unterhielten uns noch eine gute Stunde und zwei weitere Drinks, bevor Arno und ich uns verabschiedeten. Ich machte mich auf den Weg nach Hause, zum zweiten Mal am heutigen Tage. Jenny und ihr Macker waren ausgeflogen, auf dem Tisch lag eine handschriftliche Notiz, dass sie morgen mit mir reden wolle. "Das kannst du gleich vergessen," dachte ich und erinnerte mich daran, dass ich Arno nochmal versprechen hatte müssen, Nägel mit Köpfen zu machen. Vielleicht war es der Alkohol, der mich trieb, jedenfalls ging ich ins Schlafzimmer, riss sämtliche Klamotten von Jenny aus dem Schrank und stopfte sie in zwei große Tüten. Dann suchte ich noch alles, was Jenny sonst so von ihren Sachen in meiner Wohnung verteilt hatte – Schmuck, ein paar Badezimmerutensilien und noch jede Menge anderen Kram -, packte alles in einen großen Pappkarton und stellte anschließend alles vor die Tür. Zu guter letzt schloss ich dieselbe ab und ließ den Schlüssel stecken. Damit war Jenny vorerst Geschichte. Der Alkohol entfaltete allmählich seine volle Wirkung, und ich legte mich schließlich auf die Couch zum Schlafen. In mein Bett wollte ich heute aus verständlichen Gründen nicht mehr.
Am nächsten Morgen wurde ich durch lautes Geschrei geweckt. Ausserdem trommelte jemand an meiner Wohnungstür. Auch in meinem Kopf schien über Nacht ein Eisenbahnnetz errichtet worden zu sein, denn der Kater bescherte mir hämmernde Kopfschmerzen. Schlaftrunken stand ich auf. Ich brauchte gar nicht erst die Tür zu öffnen, ich wusste auch so, wer draussen stand.
"Mach’ endlich die Tür auf du Idiot!" schrie Jenny, die mit ihrem Radau im Treppenhaus sicherlich schon das ganze Haus aufgeweckt hatte.
Ich drehte den Schlüssel um und öffnete anschließend die Tür, gerade einen Spalt breit, so dass ich Jenny ansehen konnte. Ausserdem bemerkte ich, dass Jenny’s Wohnungsschlüssel im Schloss steckte, sie aber die Tür nicht hatte aufsperren können. Mein Trick mit dem Schlüssel hatte funktioniert.
"Willst du wohl aufhören, hier so rum zuschreien?" fragte ich höflich. "Du weckst noch die Nachbarn auf."
Jenny war sichtlich überrascht von dieser Begrüßung. Das nutzte ich aus, um ihren Wohnungsschlüssel wieder an mich zu nehmen. Nach zwei Sekunden fing sie sich wieder. "Lass’ mich erstmal rein, dann reden wir weiter."
"Nein. Wir haben Schluss gemacht. Erinnerst du dich nicht?" fragte ich ruhig.
"Sag’ mal spinnst du?" schnaubte Jenny. "Wann haben wir Schluss gemacht?"
"Gestern. Als du und dieser Typ es in meinem Bett getrieben haben." Auch jetzt kam meine Antwort absolut ruhig, ich wunderte mich beinahe über mich selbst. Eigentlich hätte ich vor Wut los schreien können und müssen, doch ich beherrschte mich.
"So war es doch gar nicht." keifte Jenny.
"Ach? Und was habt ihr dann im Bett gemacht? Nackt? Und er in dir?" wollte ich wissen. Dann schloss ich die Tür, was nur zu einem neuerlichen Schreianfall bei Jenny führte. Ich verstand nicht, was genau sie schrie, doch es klang nicht so, als freute sie sich über meine Entscheidung. Ehrlich gesagt war es mir aber vollkommen egal. Wenige Augenblicke später hörte ich eine zweite, dunklere Stimme auf dem Gang. Ich blickte durch den Spion nach draussen und musste amüsiert fest stellen, dass einer meiner Nachbarn Jenny mehr oder weniger – eher weniger – höflich zu verstehen gab, dass sie endlich ihr Gerümpel und ihr Geplärre nehmen solle und das Haus verlassen. Jenny erwiderte irgendwas, woraufhin jetzt der Nachbar einen markerschütternden Schrei ("Sofort! – das deutsche Wort für subito", dachte ich und musste grinsen) ausstieß. Daraufhin nahm Jenny den Karton und machte sich auf den Weg nach unten, die beiden Tüten kickte sie vor sich her. Das war das letzte Mal, das ich Jenny gesehen habe.
Jetzt war es erstmal an der Zeit, ordentlich zu frühstücken. Anschließend würde ich die Wohnung aufräumen, insbesondere das Bett frisch beziehen. Obwohl ich mir mit beidem Zeit ließ, war es noch nicht einmal Mittag, als ich den geruhsamen Teil des Wochenendes beginnen lassen wollte. Normalerweise hätte ich mich jetzt mit Jenny faul auf die Couch gelegt und den ganzen Tag ferngesehen, und abends wären wir wahrscheinlich ins Kino oder Tanzen oder dergleichen gegangen. Es war seltsam, denn obwohl ich absolut richtig gehandelt hatte, vermisste ich sie doch. Ich war ein Mensch, der nicht gerne allein war, und so widersinnig es auch sein mochte, ich wünschte mir, ich hätte Jenny nie mit diesem anderen Mann erwischt. Ich seufzte. Wie sollte ich den Urlaub nur überstehen, wenn ich mich jetzt schon so mies fühlte? Vielleicht hatte Arno ja doch Recht. Es half ja nichts, den Frauen jetzt zu entsagen. Vielleicht war es wirklich das beste, nach dieser missglückten Beziehung erstmal ein Abenteuer zu starten. Das würde mich mit Sicherheit auf andere Gedanken bringen. Ich setzte mich also an den Computer, startete ihn und stellte die Verbindung ins Netz her. Es dauerte auch nicht lange, bis ich die von Arno erwähnte Internetplatform gefunden hatte. Das war nicht sonderlich schwer, denn offenbar waren Blind-Date-Urlaube wirklich in Mode: ich fand nicht weniger als neun überregionale und drei regionale Anbieter, von denen einer sich sogar auf mein näheres Umfeld spezialisiert hatte. Nachdem ich mich mit den Nutzungsbedingungen vertraut gemacht hatte, entschloss ich mich, das Wagnis einzugehen, und ich stellte eine Anzeige online. Ich hatte rasch einen kurzen Text verfasst, der sich natürlich vornehmlich an reisebereite Damen in meinem Alter richten sollte, und schickte denselben durch Drücken der Enter-Taste ab. Nun hieß es nur noch warten, bis sich jemand meldete.
Die nächsten vier Tage tat sich gar nichts. Ich überprüfte vorsichtshalber mehrfach, ob meine Anzeige wirklich eingesehen werden konnte. Es gab zahlreiche Aufrufe, doch entweder interessierte sich niemand für einen Urlaub in Italien, oder ich war einfach zu ungeduldig. Am Donnerstag morgen, also knapp zwei Wochen vor Urlaubsantritt, stellte sich heraus, dass letzteres zu traf. In meinem Postfach fand ich eine Mail, in der sich eine erste Interessentin meldete. Ihr Vorname war Jasmin. Sie war zwar erst 23 und damit vier Jahre jünger als ich, doch mir gefiel die freundliche Art, mit der sie auf die Anzeige geantwortet hatte. Ich druckte die Mail aus und merkte mir ihre Kontaktinfo – lediglich eine Geheimnummer, die man auf der Website eingeben musste, um die vollständige Adresse zu erhalten. Als ich am späten Nachmittag von der Arbeit nach Hause kam, sah ich dieselbe natürlich sofort ein. Ich notierte mir ihre Telefonnummer, stellte überrascht fest, dass wir sogar in derselben Stadt lebten – wenngleich sie am anderen Ende wohnte -, und dann rief ich sie an.
* * *
Es war kurz nach halb sechs am Freitagabend. Die Sonne hatte den ganzen Tag geschienen, und es war immer noch angenehm warm. Ich bog in die Hartmannstrasse ein und fand beinahe sofort einen Parkplatz. Ich blinkte, dann parkte ich meinen Golf und stieg aus. Hartmannstrasse 11. Dort musste ich hin. Ich blickte an die Hauswand und sah eine 9. "Beinahe." dachte ich. Aber ich musste nicht weit gehen, dann erreichte ich das Mietshaus. Ich kontrollierte an den Namensschildern ein letztes Mal, ob ich richtig war – ja, hier stand ihr Nachname. Dann klingelte ich, und ein elektrisches Summen gab mir zu verstehen, dass ich die Tür aufschieben konnte. Rasch stieg ich die Treppen in den zweiten Stock hinauf. Oben angekommen musste ich nicht lange suchen, welche der vier Wohnungen es war – die Tür derjenigen, zu der ich musste, stand offen, und davor stand ein großer Koffer sowie zwei weitere, kleinere Reisetaschen und ein Rucksack.
"Hallo…?" rief ich fragend in die Wohnung und warf einen flüchtigen Blick hinein. Es war niemand zu sehen.
"Ich komme gleich, kleinen Moment noch." antwortete die mir bereits vom Telefon bekannte Stimme freundlich.
Ich war ziemlich gespannt, wie Jasmin wohl aussehen würde. Bislang hatten wir uns ja noch nicht gesehen, nur einige Male telefoniert, nachdem fest gestanden war, dass sie und ich diesen Blind-Date-Urlaub zusammen antreten würden. Natürlich hatte ich mir Gedanken gemacht, wie sie wohl aussehen könnte, und ich hatte versucht, mir anhand ihrer Stimme ein Bild von ihr zu machen. Obwohl sie eine wirklich schöne, angenehme Stimme hatte, die eher zu einer zierlichen Frau gepasst hätte, hatte ich irgendwie die verquere Vorstellung, dass sie eine 1,80m große, durchtrainierte Brünette wäre. Vermutlich hatte ich mir dieses Bild zurechtgelegt, weil es meiner letzten Freundin Jenny sehr nahe kam und ich sie aus mir nicht ersichtlichen Gründen mehr vermisste, als ich zugeben wollte. Als Jasmin nach knapp einer Minute aus ihrer Wohnung kam, die Tür abschloss und sich dann umdrehte, stellte ich jedoch fest, dass mein Bild von ihr falscher nicht hätte sein können.
Jasmin war etwa 165 cm groß und nicht ganz schlank. Man konnte sogar sagen, sie war ein bisschen pummelig. Sie trug helle Jeans, und unter ihrem T-Shirt zeichnete sich gut sichtbar ein kleines Bäuchlein ab. Auch sonst schien ihr Körper von einer dünnen Schicht Babyspeck überzogen zu sein. All das fiel mir jedoch in diesem Moment gar nicht auf, sondern wurde mir erst viel später bewusst. Vielleicht war das ganz gut so, denn eigentlich war sie damit nicht mein Typ. Die erste Erinnerung, die ich statt dessen an sie habe, war ihr Gesicht. Ich hatte noch nie eine so hübsche Frau gesehen. Jasmin hatte grüne Augen, ein kleines Stupsnäschen und einen süßen Schmollmund. Ihr glattes, blondes Haar hing bis zu den Hüften lang herab und umrahmte ihr junges Gesicht. Ich bemühte die Beschreibung nicht häufig, da ich sie in den meisten Fällen – gerade für eine erwachsene Frau – eher unpassend fand, doch für Jasmin war sie die beste: Sie war niedlich.
Sie musterte mich mit ihren grünen Feenaugen, lächelte schließlich und meinte freudig: "Du bist also Max. Ehrlich, ich hab’ dich mir ganz anders vorgestellt. Kleiner vor allem." Ich war gut 1,90m groß.
"Ich mir dich auch," dachte ich als Antwort auf ihre Erwartung. Laut sagte ich: "Ich bin auch froh, zu der schönen Stimme endlich ein Gesicht zu haben. Und, wenn ich das so sagen darf, ein überaus hübsches."
"Och, das ist lieb. Danke." freute sie sich und ich konnte sehen, wie ihr mein Kompliment schmeichelte, obwohl es verhältnismäßig plump gewesen war. "Wollen wir hier im Treppenhaus weiter quatschen, oder uns während der Fahrt kennen lernen?" fragte sie.
"Ich denke, wir haben während der Fahrt mehr als genug Zeit dazu." antwortete ich. Wir würden gut zwanzig Stunden unterwegs sein, wenn nichts dazwischen kam. Sicherlich, wir hätten in die üblichen Touristenorte an der Adria oder Riviera fahren können, doch was man dort zu sehen bekam, hatte nicht viel mit dem eigentlichen Italien zu tun. Hier hatte sich der Tourismus breit gemacht, und das merkte man allerorts – leider nicht nur positiv. Wenn ich Landsleute hätte sehen wollen, dann hätte ich meinen Urlaub schließlich auch in Deutschland verbringen können. Nein, ich bevorzugte den südlicheren Teil des Landes – schon deswegen, weil man hier ohne Italienischkenntnisse kaum weiter kam, und das schreckte viele Touristen ab.
"Gut, dann wollen wir mal los." meinte Jasmin und mühte sich ab, ihren Koffer und die Taschen nach unten zu befördern. Ich nahm ihr schließlich den Koffer und eine der Taschen ab, und sie bedankte sich erneut mit diesem unwiderstehlichen Lächeln.
Beim Auto angekommen verstauten wir ihr Gepäck neben dem meinem im Kofferraum. Den Rucksack und eine der beiden Reisetaschen mussten wir auf der Rückbank platzieren. Dann stiegen wir ein.
"Ich hoffe, du kennst den Weg. Karten lesen kann ich nämlich nicht." meinte Jasmin.
"Da mach dir mal keine Sorgen. Ich verspreche dir, dass ich uns sicher dorthin bringe." Dann fuhr ich los.
Während der knapp zwanzig stündigen Fahrt unterhielten wir uns beinahe die ganze Zeit. Das heisst, hauptsächlich redete Jasmin, und ich hörte zu. Jasmin erzählte offenbar wirklich gern, und ich lauschte ihrer bezaubernden Stimme mit der selben Hingabe. Ich wusste aus unseren Telefongesprächen, das wir ähnliche Interessen hatten. Sie las die gleichen Bücher wie ich, und auch bei Filmen war unser Geschmack nahezu identisch. Nur von Sport schien Jasmin nicht so viel zu halten. Ich selbst fuhr gerne Rad in meiner Freizeit oder ging auch gerne mal Joggen, Jasmin hingegen meinte nur, dass sie – wenn überhaupt – vielleicht mal zum Schwimmen ging. Auch meine Frage, ob sie gerne tanzte, bejahte sie. Jedenfalls verging die Fahrt dank unserer Unterhaltung viel schneller als erwartet, und als wir nach wenigen Stunden die italienische Grenze passierten, war ich beinahe überrascht wie zügig wir voran gekommen waren.
Da wir bis auf zwei kleine Toilettenpausen noch nicht angehalten hatten, schlug ich vor, eine Pause einzulegen. Noch hatten wir etwas mehr als die Hälfte der Strecke vor uns, und davon abgesehen wollte ich mir ein wenig die Beine vertreten. Jasmin war einverstanden, und so steuerte ich zielstrebig die nächste Autobahnraststätte an, eine, die ich schon von früheren Reisen her kannte. Der Parkplatz war nicht einmal zu einem Viertel gefüllt. Jenny und ich hatten unseren Urlaub wie üblich kurz vor die Hauptreisezeit gelegt, da so ein unbeschwertes Reisen möglich war. Ausserdem war uns so auch ein beachtlicher Frühbucherrabatt zu Gute gekommen. Dass davon jetzt Jasmin und nicht Jenny profitierte, war in mehrerlei Hinsicht Glück, auch wenn mir das erst später wirklich bewusst werden sollte.
Ich parkte den Wagen und wir stiegen aus. Ich musste mich erst einmal strecken, nach all dem Sitzen tat das gut. Jasmin tat es mir gleich und streckte sich ebenfalls. Ich wollte gerade den Wagen abschließen, da meinte sie hastig: "Moment noch, ich brauch’ noch was." Sie lächelte mich an und öffnete die hintere Tür, nahm ihren Rucksack von der Rückbank und wühlte kurz darin herum. Nachdem Jasmin gefunden hatte, wonach sie gesucht hatte, stellte sie den Rucksack wieder zurück und drückte die Tür zu. "Ok, ich bin soweit." Ich schloss den Wagen ab und ging zu ihr hinüber.
"Hier, möchtest du auch?" fragte sie und hielt mir einen dicken Schokoladenriegel, der sich in einer bunten Verpackung befand, entgegen.
"Danke, aber ich bin nicht hungrig." antwortete ich.
"Oh, ok." meinte sie. "Naja, ich schon." Sie grinste und biss von ihrem eigenen Riegel ab.
"Du hast doch nichts dagegen, wenn wir ein paar Schritte gehen?" fragte ich. Sie nickte, und so setzten wir uns in Bewegung. Der Rastplatz lag etwas abseits der Autobahn, so dass der Lärm der vorbeifahrenden Autos eigentlich nicht zu hören war. Dafür war alles sehr schön angelegt, viele Pflanzen sollten den Reisenden ihre Pausen verschönern. Selbst jetzt, kurz nach halb elf Uhr abends, war das aufgrund der großzügigen Beleuchtung des gesamten Parkplatzes gut zu erkennen. Ich hatte den Wagen etwa hundert Meter vom zum Parkplatz gehörigen Rasthaus abgestellt, und da ich zuerst auf die Toilette wollte, gingen wir in diese Richtung. Jasmin ging neben mir her und biss genüsslich von ihrem Schokoriegel ab, wobei mir auffiel, dass sie fast ein wenig hastig aß. Sie hatte auch kaum den ersten Riegel gegessen – immerhin ein ziemlich dickes Stück Schokolade, das sicher nicht gerade kalorienarm gewesen war – da riss sie auch schon die Verpackung des zweiten auf und ließ sich auch diesen schmecken. Ich sagte nichts, doch offenbar hatte sie meinen überraschten Blick bemerkt, denn sie lächelte mich verlegen an und meinte dann: "Wolltest du den Riegel doch essen? Keine Sorge, ich hab’ noch mehr." Ich hatte eigentlich eine andere Erklärung erwartet, schließlich hatte sie bereits einen dieser Kalorienspender verzehrt. Aber scheinbar war das ein Gedanke, der Jasmin überhaupt nicht in den Sinn kam.
Wir betraten das Rasthaus und ich suchte schnell den Weg zu den Toiletten um mich zu erleichtern. Jasmin blieb derweil im Eingangsbereich stehen und überflog die Speisekarte. Als ich keine zwei Minuten später zurück kam, war Jasmin verschwunden. Das heisst, sie war nicht wirklich verschwunden, sie stand nur nicht mehr dort, wo sie vorhin gestanden hatte. Ich schickte meinen Blick auf die Suche und erblickte sie nach wenigen Sekunden. Jasmin war in den kleinen Einkaufsbereich des Rasthauses gegangen. Fast jede der Raststätten hier hatte in den letzten Jahren einen solchen eingerichtet. Nachdem die Gäste gespeist hatten, mussten sie das Restaurant durch eben jenen Bereich verlassen und wurden so nochmals animiert, den einen oder anderen Euro für kleine Souvenirs, Reisegetränke oder irgendetwas anderes auszugeben. Eine kluge Geschäftsidee, die den Rastplatzbetreibern die eigene Nase noch ein wenig mehr vergoldete. Im Moment war Jasmin dabei, ihren Beitrag zu leisten. Ich folgte ihr und erreichte sie gerade, als sie an der Kasse stand und bezahlte.
"Hier bist du also." sagte ich und sie drehte sich zu mir um.
"Ja, hier bin ich." lächelte sie. "Ich wollte nur ein bisschen gucken, ob wir was vielleicht noch was brauchen können."
"Und, was gefunden?" erkundigte ich mich. Jasmin hatte gezahlt und wir gingen nach draussen, wo sie mir den Inhalt der kleinen Tüte, die die Kassiererin ihr überreicht hatte, präsentierte. "Noch mehr Süßigkeiten?" fragte ich überrascht.
"Ja." nickte sie. "Weißt du, nachdem du weg warst habe ich gesehen, dass sie hier diese Schokoladenstäbchen haben. Ich mag die total gern, und zu Hause gibt es die nicht." erklärte sie.
Das stimmte. Zwar waren die Schokoladenstäbchen, wie Jasmin sie nannte, im Grunde nichts anderes als irgendein trockenes Gebäck, das man in eine Schokoladensoße tauchte. Aber trotzdem schien sich dieser Snack noch nicht über die italienische Grenze gewagt zu haben.
"Willst du mal probieren?" fragte sie mich. Ich verneinte dankend, da ich den Geschmack bereits kannte. Viel mehr wunderte mich allerdings, dass sie unbeirrt dennoch eines der Päckchen aufriss und sich daran gütlich tat. "Mmmh, die sind echt lecker." meinte sie. Wir schlenderten noch ein wenig umher, bevor wir wieder zu meinem Wagen zurück kehrten und weiter fuhren. Bis dahin hatte Jasmin längst den eben gekauften Snack auf gefuttert und zufrieden ihr kleines Bäuchlein getätschelt, nachdem sie offenbar satt gewesen war. Diese Geste, so unscheinbar sie auch sein mochte, hatte ich an diesem Abend zum ersten Mal bei ihr gesehen. Und es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein.
Wir setzten unsere Fahrt fort, und nachdem es erst Nacht und dann wieder Morgen und damit heller geworden war, hatten wir nur noch gute 100 km bis zum Ziel. Wir waren zügig vorangekommen, so dass es nicht schaden konnte, wenn wir noch einmal anhalten würden. Mir knurrte mittlerweile ziemlich der Magen, es war immerhin schon fast 6 Uhr und ich hatte seit gestern Abend nichts mehr gegessen. Ganz anders Jasmin, die sich im Wagen irgendwann gegen drei Uhr noch einen weiteren ihrer Schokoriegel genehmigt hatte. Wie sie mir sagte, hatte sie wohl gute drei dutzend davon mitgenommen. Mir war nicht bekannt, in welchem Zeitraum sie geplant hatte, die Riegel zu verzehren, aber wenn sie so weiter machen würde, dann wären die Riegel in spätestens drei Tagen allesamt aufgegessen. Jedenfalls knurrte auch Jasmins Magen hörbar, anscheinend war ich nicht der einzige, der ein Frühstück vertragen konnte. Also steuerte ich erneut einen Rastplatz mit Gasthaus an, wo wir wenig später ein großzügiges und magenfüllendes Frühstück einnahmen. Zu diesem Zeitpunkt waren wir beide schon ziemlich erschöpft aufgrund der langen Fahrt, ansonsten hätte ich wohl nicht nur unbewusst aufgenommen, dass Jasmin sogar etwas mehr als ich selbst frühstückte.
Die letzten 100 km waren nach der zweiten Pause schnell zurückgelegt. Jasmin und ich kamen kurz vor neun in unserem Hotel an. Eigentlich war es mehr eine kleine Pension im Familienbetrieb, gerade 4 Zimmer gab es zu mieten. Jasmin und ich waren die einzigen Gäste, so dass wir freundlich empfangen wurden und auch gleich unser Zimmer beziehen konnten. Giancarlo und seine Frau – ihnen gehörte die kleine Pension – hatten uns zwar erst später an diesem Tage erwartet, aber schon wenige Minuten nach unserer Ankunft hatten wir uns bekannt und Giancarlo unser Zimmer bereit gemacht. Vielleicht muss ich dazu sagen, dass ich Giancarlo und seine Frau Rosa eigentlich schon lange Jahre kannte, ich war noch viel jünger gewesen, als ich zum ersten Mal hier Urlaub gemacht hatte – damals noch mit meinen Eltern. Doch auch mit Jenny hatte ich hier schon drei mal eine schöne Zeit verbracht. Natürlich erinnerte sich Giancarlo noch an sie, doch obwohl er ein sehr neugieriger Mann Anfang 60 war, war er zurückhaltend genug, nicht nach ihr zu fragen. Stattdessen begrüsste er Jasmin genau wie mich so, als würde er sie schon seit jeher kennen. Im Gegensatz zu mir sprach Jasmin kaum Italienisch, so dass sie Giancarlo’s herzliche Begrüßung mehr mit einem Lachen als mit Worten quittierte. Bevor wir uns endlich in unser Zimmer begeben konnten, luden uns Giancarlo und Rosa noch zum Mittagessen ein. Sie legten es extra eine Stunde später als üblich, damit wir auspacken und uns noch etwas ausruhen konnten. Nachdem auch Jasmin einverstanden war, sagte ich zu. Dann bezogen wir unser Zimmer.
* * *
Die Pension von Giancarlo war alt und hatte sicherlich schon bessere Tage gesehen. Das Gleiche galt für die Zimmer, die alles andere als modern eingerichtet waren. Wenigstens die Betten – ein Doppelbett – waren neu angeschafft worden und überaus bequem, die restlichen Möbel aber waren meiner Schätzung nach nicht weniger alt als Giancarlo selbst. Vermutlich feierten sie am selben Tag Geburtstag, scherzte ich und Jasmin lachte darüber. Trotzdem oder gerade weil alles hier so war wie es eben war, mochte ich es. Alles hier löste ein angenehmes Gefühl der Gemütlichkeit und Entspanntheit aus, und mehr verlangte ich nicht. Wenn das Wetter in den nächsten 21 Tagen mitspielte, dann würden Jasmin und ich bestimmt einen schönen Urlaub hier verbringen. Zumal wir beide uns wirklich gut verstanden und Jasmin diese familiäre Atmosphäre ganz offensichtlich ebenso zu zusagen schien wie mir selbst. Rasch packten wir unsere Sachen aus und richteten uns für die anstehenden drei Wochen ein. Dann legten Jasmin und ich uns hin und erholten uns von der Fahrt.
Erst gegen Mittag wurde ich wieder wach. Es war schwül geworden und die Luft im Zimmer war zu warm, um noch weiter zu schlafen. Ich hatte vergessen, die Klimaanlage – das einzige elektrische Gerät, das es in jedem Zimmer gab – anzustellen. Aber wir mussten ohnehin in gut fünfzehn Minuten zu unserer Verabredung mit Giancarlo und seiner Familie, so dass ich erst Jasmin weckte und wir uns dann temperaturgerecht kleideten. Ich mit T-Shirt und kurzen Hosen, sie mit einem leichten, blauen Sommerkleid. Halbwegs ausgeruht und weniger aufgeregt als gestern Abend, als ich Jasmin zum ersten Mal gesehen hatte, fiel mir nun deutlich auf, dass sie eine überaus weibliche Figur hatte. Das Kleid unterstrich diese Wirkung umso mehr und brachte alle ihre Kurven richtig zur Geltung. Und eigentlich, so leid es mir tat, war Jasmin damit ein wenig zu viel Frau für mich. Dennoch, irgendetwas war an ihr, das mich faszinierte. Ich wusste nicht was es war – ihre Bewegungen? ihr Duft? oder einfach ihre Ausstrahlung? – aber es war da.
Man erwartete uns bereits. Der Tisch, an den Giancarlo uns führte, war riesig. Allerdings war das auch notwendig, denn neben Jasmin und mir sowie Giancarlo und Rosa war natürlich auch der Rest der Familie unseres italienischen Gastgebers zugegen. Giancarlo und Rosa hatten drei Töchter und einen Sohn, alle jeweils im Abstand von einen knappen Jahr geboren. Tomasso, der Sohn der beiden und zugleich der Älteste, war so alt wie ich selbst, Raffaela, Claudia und Laura in dieser Reihenfolge entsprechend jünger. Ausserdem war noch Giancarlos Mutter anwesend, sie musste mittlerweile um die 80 Jahre alt gewesen sein. Tomasso sah ich heute zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder, er war bei der italienischen Polizei und hatte es trotz seines jungen Alters bereits geschafft, einen wichtigen Posten in einer Einheit zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität einzunehmen. Damit war er natürlich sehr gefragt und praktisch nie oder eben nur sehr selten zu Hause. Nachdem die bereits am Tisch Sitzenden uns und wir sie neugierig beäugt hatten begrüssten wir einander, dann bat uns Giancarlo auch schon, Platz zu nehmen. Jasmin und ich setzten uns auf die Plätze, die Giancarlo uns zuwies. Ich saß Tomasso gegenüber, während Jasmin’s Gegenüber Laura war. Giancarlo selbst nahm an der Spitze der Tafel Platz. Genau in diesem Moment brachte Rosa das Essen. Erst eine riesige Schüssel Bolognese-Soße, dann einen wahrhaft riesigen Bottich mit Spaghetti. Sie gab jedem eine mehr als großzügige Portion von allem und wünschte dann allen buon appetito.
Es stellte sich heraus, dass Giancarlo die Plätze mit Bedacht so gewählt hatte wie wir nun eben saßen. Ich hatte mir zunächst Sorgen gemacht, doch während ich mich mit Giancarlo und Tomasso über dieses und jenes unterhielt, fing Laura mit Jasmin ein Gespräch an. Laura studierte seit gut zwei Jahren Fremdsprachen, und sie sprach mittlerweile nahezu perfekt Deutsch. Nur ein leichter, kaum auffallender Akzent wies auf ihre italienische Herkunft hin. Ich konnte Jasmin ihre Erleichterung über eine Gesprächspartnerin ansehen, denn so wie ich sie bisher kennengelernt hatte, redete sie wirklich gern. So war es auch kein Wunder, dass das Mittagessen typisch italienisch verlief: laut, lebhaft und es wurde viel gelacht. Selbstverständlich komme ich nicht umhin, die Kochkünste unserer Gastgeberin zu loben. Rosa hatte ein wahrhaft köstliches Gericht gezaubert, denn auch wenn es sich nur um Spaghetti Bolognese handelte, so hatte sie es doch geschafft sie so zu kochen, dass sie eben gerade nicht wie ein Standardgericht schmeckten.
Das gesellige Beisammensein dauerte an und irgendwann waren die Teller geleert. Rosa verteilte eine zweite Portion an alle, die nach wie vor hungrig waren – zu meiner Überraschung zählte auch Jasmin dazu, obwohl auch ihre Portion alles andere als klein gewesen war – so dass schließlich tatsächlich alle Spaghetti aufgegessen wurden. Mir wäre es vermutlich gar nicht aufgefallen, wenn Rosa es nicht explizit erwähnt hätte, doch sie freute sich sehr darüber, dass Jasmin es sich schmecken ließ. Ich musste über die von Rosa gewählten Worte schmunzeln, auch weil sie nicht ganz verkehrt waren.
"Warum lachst du?" fragte mich Jasmin, und erst jetzt fiel mir auf, dass Rosa italienisch – natürlich! – mit mir gesprochen hatte. Also übersetzte ich für Jasmin.
"Rosa freut sich, dass es dir so gut schmeckt. Sie meint, dass gerade die deutschen Gäste, insbesondere die Frauen, ihre Kochkunst oft nicht zu schätzen wüssten." erklärte ich.
"Aha." nickte Jasmin, die gerade wieder eine Gabel mit Spaghetti in ihren Mund schob. "Du kannst ihr sagen, dass sie da keine Angst bei mir haben muss. Und das es wirklich gut schmeckt." meinte sie kauend.
Ich konnte mir erst keinen Reim darauf machen, wie Jasmin den ersten Satz gemeint hatte, auch wenn es mir heute offensichtlich scheint. Dennoch teilte ich Rosa Jasmin’s Antwort mit, und sie dankte es Jasmin mit einem Lächeln.
Wir saßen fast zwei Stunden beisammen, bis es an der Zeit war wieder zu gehen. Zwar verstanden Giancarlo und seine Familie ihre Pension nicht nur als Arbeitsplatz, wie man unschwer an der beiden Art, mit den Gästen umzugehen, erkennen konnte. Aber Jasmin und ich wollten am heutigen Tage noch etwas unternehmen, so dass wir schließlich gehen mussten. Wir würden Giancarlo und seine Familie in den nächsten Wochen ohnehin noch des öfteren sehen, gerade beim Abendessen – sofern Jasmin und ich nicht auswärts aßen -, so dass man es uns auch nicht übel nahm.
Es war schon fast drei Uhr am Nachmittag, als Jasmin und ich zu einem kleinen Verdauungsspaziergang am Strand aufbrachen. Die schlimmste Mittagshitze war jetzt vorüber, und da der Weg zum Strand nicht allzu weit war, konnten wir unbeschwert voran gehen. Jasmin und ich gingen nebeneinander auf dem sandigen Trampelpfad durch den Pinienwald, und abermals fiel mir auf, dass sie hin und wieder ihr kleines Bäuchlein tätschelte. Möglicherweise täuschte ich mich, doch ich hatte den Eindruck, dass es nach diesem ausgedehnten Mittagessen ein wenig runder war als vorhin in unserem Zimmer. Natürlich sprach ich Jasmin nicht darauf an, und wahrscheinlich bildete ich mir das Ganze ohnehin nur ein.
"Das waren wirklich sehr nette Leute." meinte Jasmin irgendwann während des Spaziergangs.
"Ja, das stimmt." antwortete ich. "Ich kannte Giancarlo und seine Familie ja schon, sie waren schon immer so. Echte Italiener eben." meinte ich und lächelte Jasmin an.
"Ja, wirklich, fast wie im Fernsehen." lachte Jasmin. Dann meinte sie, etwas leiser und verlegen: "Fast wie bei einem Mafiaessen."
Jetzt musste ich lachen. "Naja, ausschließen kann man es nicht, aber es ist eher unwahrscheinlich. Tomasso ist immerhin Polizist." erklärte ich.
"Ja und? Dann kann er doch prima die Konkurrenz erledigen, und seinen papa aus Schwierigkeiten raus halten." kicherte sie und blinzelte mir verschwörerisch zu. Mit dem papa spielte sie wohl auf die hierarchische Struktur der Mafia an. Irgendwie gefiel mir ihr Humor.
"Und du konntest dich gut mit Laura unterhalten?" erkundigte ich mich.
"Oh ja." antwortete sie fast ein wenig zu hastig. "Wir verstehen uns wirklich sehr gut."
Den restlichen Weg bis zum Strand erzählte mir Jasmin, worüber sie gesprochen hatten. Etwa was Laura studierte, wo sie dies tat und so weiter und so fort. Das meiste davon wusste ich bereits, da ich wie gesagt bereits mehrfach Gast im Hause von Giancarlo’s Familie gewesen war. Trotzdem hörte ich Jasmin gerne zu. Seit ich ihre wirklich angenehme Stimme zum ersten Mal gehört hatte, hatte sie mich in ihren Bann gezogen. "Ganz anders als Jenny’s Stimme," dachte ich während Jasmin so vor sich hin redete, und erinnerte mich wieder daran, wie Jenny noch vor wenigen Tagen im Treppenhaus meines Wohnhauses herum getobt hatte. Und dass ich nun eigentlich mit Jenny hier gehen hätte sollen. Stattdessen war ich nun mit Jasmin hier. Ich schob den Gedanken beiseite, da er ungerecht gegenüber Jasmin war. Sie konnte nichts dafür, dass Jenny so war wie sie war. Und davon abgesehen, bislang waren Jasmin und ich ganz gut miteinander ausgekommen.
Am Strand angekommen gingen wir bis ganz noch vorn, wo die Wellen in den Sand liefen und versickerten und das, was nicht vom Sand aufgesogen wurde, wieder zurück ins Meer floss. Jasmin hob ihr Kleid ein wenig an und stieg vorsichtig ins Wasser, ich kam ihr nach. Das Wasser war angenehm warm, obwohl es noch früh im Jahr war. Aber wir waren ja auch sehr weit im Süden des Landes, und ich war mir nicht sicher, ob es hier überhaupt jemals richtig kalt wurde. Die Hitze von heute Mittag jedenfalls ließ mich daran zweifeln. Einige Minuten standen wir so im Wasser und warteten auf Nichts, bis wir uns schließlich wieder nach draussen begaben und uns in den Sand setzten. Abgesehen von uns beiden waren nur wenige andere Menschen am Strand, die meisten davon Einheimische und nur ganz wenige Touristen. Es war ruhig, und so konnten wir dem Rauschen des Meeres zuhören.
Wir sprachen erstaunlich wenig in der Zeit, die wir an diesem Tag noch am Strand verbrachten. Wahrscheinlich lag das daran, dass wir beide nach der langen Reise, der nur kurzen Pause vor dem Mittagessen und dem Spaziergang einfach zu erschöpft waren, uns heute noch weiter kennen zu lernen. Natürlich wechselten wir ab und an einige Worte, doch hauptsächlich nutzten wir die Zeit, faul in der nachmittäglichen Sonne zu sitzen und zu entspannen, bevor wir schließlich wieder in unsere Pension zurück kehrten. Wir nahmen ein kleines Abendessen ein, das Jasmin in unserer Kochnische zubereitete, bevor wir früh zu Bett gingen, damit wir am morgigen Tag unseren Urlaub richtig beginnen konnten.
* * *
Ich weiß nicht, wie Jasmin die ersten gemeinsamen Tage erlebt hat, doch ich vermute, dass es ihr so ähnlich ging wie mir selbst. Es war in der Tat ein etwas seltsames Gefühl, mit jemand Fremden in den Urlaub fahren. Auch das Doppelbett, das wir uns teilten, trug zumindest in den ersten Tagen nicht dazu bei, dass dieses Gefühl verschwand. Immerhin hatten wir uns erst vor wenigen Tagen kennengelernt und vor noch kürzerer Zeit das erste Mal gesehen. Es konnte also niemand erwarten, dass wir uns wie ein Paar, das sich schon seit langem kannte, verhielten. In den ersten vier Tagen sollte dies auch so bleiben.
Die ersten Urlaubstage waren einander allesamt sehr ähnlich. Wir standen verhältnismäßig früh auf – ich war es so gewohnt, und auch Jasmin wachte etwa zur gleichen Zeit auf – frühstückten dann gemeinsam und gingen anschließend an den Strand. Dort lagen wir die meiste Zeit faul auf unseren Handtüchern und ließen uns die Sonne auf die Bäuche scheinen. Mittags aßen wir eine Kleinigkeit, meistens etwas Obst, das wir mitgebracht hatten, und erst am späten Nachmittag verließen wir den Strand wieder und spazierten durch den Pinienwald zurück in unsere Pension. Dort aßen wir zusammen mit Giancarlo, Rosa, ihren Kindern – denen, die gerade da waren – und Giancarlo’s Mutter zu Abend. Anschließend begaben wir uns auf unser Zimmer, wo wir uns auf die Terrasse setzten und uns noch etwas unterhielten oder lasen, bis wir schließlich zu Bett gingen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, dass dieser Blind-Date-Urlaub nach einem guten Beginn etwas schleppend weiter lief. Natürlich erfuhren wir beide vor allem in der Zeit, die wir zusammen am Strand und Abends auf der Terrasse verbrachten, sehr viel von einander. So erzählte ich Jasmin mehr über mein abgeschlossenes Studium und meinen Beruf – ich war bei einem Softwareunternehmen angestellt – und vieles andere mehr. Aber auch von Jasmin erfuhr ich in diesen Tagen so einiges. Jasmin’s Eltern waren in keiner Weise anders als andere Eltern, dafür hatte sie einen älteren Bruder, der nach Australien ausgewandert war. Wenn ich bedachte, dass sie jetzt an diesem Blind-Date-Urlaub teilnahm, dann konnte ich wohl davon ausgehen, dass eine gewisse Lust auf Abenteuer zumindest in der jüngeren Generation ihrer Familie gegeben war. Ausserdem wusste ich nun, dass auch sie studiert hatte, das Studium aber abgebrochen hatte und nun stattdessen in einem Tonstudio arbeitete. Dort war sie hauptsächlich für die Vertonung von Hörbüchern zuständig, eine interessante Aufgabe, wie sie mir erklärte. Wie ich hatte also auch sie eine Vorliebe für Technik. Dass Jasmin eher wenig von Sport hielt wusste ich bereits. Viel interessanter alle diese doch eher oberflächlichen Informationen waren unsere Gespräche darüber, auf welche Dinge wir in einer Beziehung Wert legten. Jasmin und ich stimmten darin überein, dass Ehrlichkeit wohl das wichtigste war. Danach stand für uns beide Treue, und schließlich noch gegenseitiges Vertrauen. Die Frage nach unserem jeweiligen Traumpartner umgingen wir jeweils geschickt. Sie, indem sie nur verlegen lächelte und mir keck zu zwinkerte, ich, indem ich irgendwas in Richtung "wenn die Chemie stimmt, ist alles andere egal" daher redete. Es fiel mir verständlicherweise schwer, sie nicht damit vor den Kopf zu stoßen, dass sie eigentlich so gar nicht mein Typ war. Nun, da ich sie beim Sonnenbaden auch im Bikini gesehen hatte, hatte sich diese Erkenntnis nur noch einmal bestätigt. Sicherlich, Jasmin war eine wirklich hübsche junge Frau. Sie hatte das Gesicht eines Engels, aber leider passte ihr Körper nicht ganz dazu. Was ich bei unserem ersten persönlichen Treffen im Treppenhaus vor ihrer Wohnung bereits hatte vermuten können, war nun offensichtlich. Jasmin war etwas pummelig, schob ein kleines Bäuchlein vor sich her und hatte verhältnismäßig breite Hüften. Man konnte sie bei weitem nicht als dick oder gar fett bezeichnen, aber hätte ihre Figur mit der eines Models konkurrieren müssen, so hätte Jasmin keine Chance gehabt. Allerdings war das auch nicht weiter verwunderlich, denn schon in den ersten Tagen fiel mir auf, dass Jasmin offensichtlich sehr gerne aß und auch gut zulangen konnte. Nicht selten zauberte sie von was weiß ich woher irgendetwas Süßes, und auch beim Frühstück oder Abendessen ließ Jasmin es sich schmecken. In gewisser Weise war sie was das anging ganz anders als ich es von Jenny (oder jeder anderen meiner früheren Freundinnen) gewohnt war.
Und dennoch, irgendetwas war an Jasmin, das mich über all das, was ansonsten so gar nicht zu meinem Beuteschema passte, hinweg sehen ließ. Egal was Jasmin tat, ich hatte stets das Gefühl, ihr dabei zusehen zu wollen. Wenn sie redete, folgten meine Augen jeder ihrer Lippenbewegungen, und selbst wenn sie gar nichts tat, so hatte ich immer das Gefühl, das da mehr war als ihre bloße Anwesenheit. Heute weiß ich, dass es Jasmin ebenso gegangen ist wie mir.
Es war bereits unser fünfter Urlaubstag, als sich alles ändern bzw. wirklich beginnen sollte. Wie an den Tagen zuvor waren wir aufgestanden, hatten gefrühstückt und waren anschließend an den Strand gegangen. Dort hatten wir nichts anderes als an den anderen Tagen getan, bis wir schließlich wieder zur Pension aufgebrochen waren. Seltsamerweise erinnere ich mich noch daran, dass ich auf dem Trampelpfad durch den Pinienwald noch darüber nachgedacht hatte, ob dieser Blind-Date-Urlaub wirklich eine so gute Idee gewesen war. An diesem Abend jedoch sollte ich herausfinden, dass er genau das war.
Jasmin und ich waren gerade erst in der Pension angekommen und in unserem Zimmer verschwunden, als es an der Tür klopfte. Ich öffnete, und ich erkannte Giancarlo.
"Heute Abend gibt es was zu feiern." sagte er mit freudestrahlendem Gesicht. "Und ihr beide seid natürlich dazu eingeladen. Ich hoffe ihr bleibt heute auch nach dem Abendessen?"
Natürlich nahmen Jasmin und ich die Einladung an. Ich mochte Giancarlo und seine Familie ohnehin, und auch Jasmin hatte nichts dagegen einzuwenden. Und überhaupt: ein italienisches Familienfest zu verpassen, das war etwas, was niemand sich leisten sollte.
"Und was ist der Anlass?" fragte ich neugierig.
"Wir feiern die Verlobung meines Sohnes." freute Giancarlo sich berechtigterweise. Ich war ein wenig überrascht, denn ich hatte nicht einmal gewusst, dass Tomasso eine Freundin hatte, doch eigentlich war das auch egal. Eine Verlobung jedenfalls war Anlass genug für ein Fest.
Nachdem Giancarlo wieder gegangen war, hängten wir erst unsere Strandtücher zum Lüften auf den Balkon und duschten dann. Jasmin ging als erste ins Bad, da sie mit den langen Haaren wohl länger als ich brauchen würde. Während ich noch duschte, konnte sie dann die Haare föhnen und sich zurecht machen für den Abend. Dass wir zu dieser Feierlichkeit etwas elegantere Garderobe wählen würden verstand sich von selbst, auch wenn das nicht bedeutete, dass wir in Anzug und Abendkleid erscheinen wollten. Ich selbst entschied mich für eine klassische Jeans-Hemd-Kombination. Ich hatte die Sachen bereits mit ins Badezimmer genommen um mich dort um zuziehen, eine Angewohnheit, deren Ursprung noch in meiner Studienzeit lag. Es dauerte nicht lange, bis ich geduscht, abgetrocknet, rasiert und wieder angezogen war, und so ging ich wieder zurück in unser Zimmer, wo Jasmin bereits auf mich wartete.
Als ich den Raum betrat, saß Jasmin gerade auf ihrer Seite des Bettes und war offenbar dabei, sich die Augen zu schminken. Jasmin trug wieder das blaue Sommerkleid. Sie hatte mir den Rücken zugedreht, doch genau in dem Moment, als ich eingetreten war, legte sie ihre Sachen beiseite und drehte sich zu mir um. Mir blieb fast der Atem stehen, als sie mich mit ihren grünen Augen anblickte und zu lächeln begann. Die tief stehende Sonne ließ einen Lichtstrahl genau so ins Zimmer fallen, dass ihr Gesicht zur Hälfte davon getroffen wurde und noch elfengleicher als sonst wirkte. Es war eigentlich nicht möglich, und doch hatte Jasmin es geschafft, noch ein wenig hübscher zu werden. Ich weiß nicht, wie ich sie angesehen habe, doch mein Blick musste wohl so gewesen sein, dass er ihr nicht entgangen war. Sie stand auf und machte zwei Schritte auf mich zu. Dann legte sie den Kopf ein wenig schief, blickte mich durchdringend an und fragte: "Ist etwas? Meinst du ich kann das anziehen?" Ich ließ meine Augen an ihrem Körper hinab wandern, so als würde ich kontrollieren, ob alles in Ordnung war. Zum ersten Mal kam es mir so vor, als wäre nicht ein Makel an ihr. Immer noch war sie viel zu rund für meinen Geschmack, doch in diesem Moment war das unwichtig. Ich brauchte einige Sekunden, ehe ich antworten konnte, und als ich endlich etwas sagte, da brachte ich nur ein lahmes "Alles in Ordnung." über die Lippen. Jasmin gab sich damit offenbar zufrieden, denn sie begann noch mehr zu lächeln und ich konnte sogar sehen, wie sich ihre Wangen leicht röteten. Dann gingen wir nach unten, wo man uns bereits erwartete.
Wie am Tag unserer Ankunft waren alle Mitglieder von Giancarlo’s Familie da. Ausserdem hatte Tomasso seine zukünftige Frau mitgebracht. Ihr Name war Chiara, und sie saß heute neben Tomasso. Dafür hatte Laura sich nun so gesetzt, dass sie die Nachbarin von Jasmin war und man sich abermals unterhalten würde können. Ich fühlte mich natürlich geehrt, bei einem solchen Familienfest dennoch den gleichen Platz wie beim letzten Mal zugewiesen zu bekommen, und so waren rasch alle Plätze rund um den Tisch belegt. Kaum dass alle Feiernden Platz genommen hatten, da wurden auch schon zum ersten Mal die Weingläser gefüllt und es wurde auf Tomasso und Chiara angestoßen. Vermutlich würde dies heute Abend nicht das letzte Mal gewesen sein, und so ließ ich es etwas ruhiger angehen.
Das Fest war bereits eine Weile im Gange, als Rosa schließlich das Abendessen zu servieren begann. Sie hatte sich für den heutigen Abend etwas besonderes einfallen lassen und kündigte uns ein Menü an, das jedem der am Tisch Sitzenden das Wasser im Mund zusammen laufen ließ. Zunächst servierte sie allen eine großzügige Portion gekühlter Krabben, die mit einer sehr gut schmeckenden Zitronensoße übergossen worden waren. Das Hauptgericht bildete – wie eigentlich jeden Abend – Pasta. Heute hatte Rosa eine Lasagne zubereitet, so lecker wie ich noch nie zuvor in meinem Leben eine gegessen hatte. Offenbar hatte Rosa sich wirklich ins Zeug gelegt, denn über diese Tatsache waren sich alle einig, so dass Rosa sich mächtig über die ausgesprochenen und unausgesprochenen Komplimente freute. Die Nachspeise schließlich, die erst spät abends serviert wurde, bildete ein süßer italienischer Kuchen, dessen Name mir leider entfallen ist.
So dauerte die Feier an, es wurde viel geredet, noch mehr gelacht und noch viel mehr gegessen und getrunken. Wann immer irgend jemandes Glas oder Teller leer war, so standen stets Giancarlo oder Rosa bereit und schenkten nach oder reichten eine weitere Portion. Es war eine wirklich schöne Feier, und weder ich noch Jasmin bereuten, dass wir zugesagt hatten.
So schön die Feier auch war, so war ich doch den ganzen Abend auch etwas mehr als üblich mit mir selbst beschäftigt. Der Moment vorhin im Zimmer, in dem Jasmin so vor mir gestanden und mich angesehen hatte, wollte mir einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen. Den ganzen Abend über hatte ich dieses Bild in meinem Kopf, und ich ertappte mich dabei, wie ich beinahe gierig alles beobachtete, was Jasmin an diesem Abend tat. Ich sah ihr zu, wie sie feierte, sich unterhielt und auch aß. Ja selbst wenn ich Tomasso und Chiara an sah oder mit ihnen sprach, so waren meine Gedanken doch bei Jasmin. Die seltsamsten Momente an diesem Abend waren es, wenn ich einige Worte mit ihr wechselte. Es fiel mir unglaublich schwer, ihr stets korrekte Antworten zu geben oder mich überhaupt auf das Gespräch konzentrieren zu können. Ich war überzeugt, dass das zum Teil auch an dem Wein lag, den ich über den Abend hinweg getrunken hatte. Aber mit einem Mal schien da zwischen Jasmin und mir viel mehr zu sein als noch am Morgen desselben Tages. Und obwohl ich den Abend so verlebte und mich an vieles davon heute nur noch bruchstückhaft erinnere, so kann ich mich an eine Sache noch so gut erinnern, als würde sie noch immer andauern. Es ist die Erinnerung an Jasmin, wie sie mit ihrer Hand ihr Bäuchlein tätschelte, nachdem sie über den ganzen Abend hinweg alles, was man ihr vorgesetzt hatte, aufgegessen hatte. Es ist mir unerklärlich, doch wann immer ich heute an diesen Abend zurück denke, so erinnere ich mich hauptsächlich daran, Jasmin beim Essen zugesehen zu haben. Und das hatte sie beileibe getan. Natürlich hatte ein jeder von uns bei diesem Festessen mehr als üblich zu sich genommen, doch Jasmin schien den ganzen Abend nur damit beschäftigt gewesen zu sein, Rosa’s Kochkünsten einen Sinn zu geben.
Es war lange nach Mitternacht, als die Feier zu Ende war und Jasmin und ich in unser Zimmer zurück torkelten. Wir hatten beide deutlich mehr als nötig getrunken, und wäre der Weg zu unserem Zimmer weiter gewesen, so könnte ich nicht mit Überzeugung behaupten, dass wir ihn gefunden hätten. Trotzdem schafften wir es nach oben, wenn wir dafür auch ungleich länger als an den Abenden zuvor brauchten. Der Tag war lang und für einen Urlaubstag verhältnismäßig anstrengend gewesen, so dass wir beide nur noch ins Bett wollten. Nachdem ich die Tür zu unserem Zimmer geöffnet und den Lichtschalter gefunden hatte, traten wir ein und schlossen die Tür hinter uns ab. Ich blickte bereits sehnsüchtig in Richtung meines Bettes, doch bevor es soweit war, wollte bzw. musste ich wohl oder übel noch aus meinen Sachen schlüpfen. Jasmin tat es mir gleich und begann genau wie ich, sich zu entkleiden. Hätte ein Dritter uns dabei beobachtet, so hätte er sich sicherlich köstlich darüber amüsiert, wie wir zwei in diesem Zustand hin und her stolperten, ehe ich endlich aus meinen Hosen geschlüpft und sie ihr Kleid ausgezogen hatte. Wir mussten selbst unentwegt kichern, doch dank unseres Alkoholpegels war sich keiner von uns beiden zu albern dafür. Ich ließ schließlich meine Jeans achtlos auf den Boden fallen, und wollte gerade in mein Bett steigen, da machte Jasmin einen Schritt nach vorn und stolperte geradewegs über das eben von mir fallen gelassene Kleidungsstück. Irgendwie schaffte ich es, meine Bewegung zu ändern und Jasmin aufzufangen, bevor sie gefallen wäre und sich womöglich verletzt hätte. Blitzschnell griffen meine Hände um ihren Körper und hielten ihn fest.
Es war das erste Mal, dass ich Jasmin und sie mich berührte. Ich fühlte ihre Haut, wie weich sie war und wie warm. Ich sog Jasmin’s Duft in meine Nase, und ihr Haar strich über meinen Körper. Und zum ersten Mal konnte ich spüren, wie sich dieser runde, weibliche Körper anfühlte. All die kleinen Pölsterchen, die so manche Rundung verstärkten, manch andere überhaupt erst schufen, schenkten ihrem Körper eine sinnliche Weichheit, wie ich sie noch nie zuvor kennen gelernt hatte. Wie von selbst strich meine Hand erst über Jasmin’s Rücken, dann ihre Schultern, und als wir schließlich wieder einigermaßen gerade standen, da hatten wir einander eng umschlungen und spürten uns gegenseitig. Vielleicht war es der Alkohol, der uns an diesem Abend so zusammen geführt hatte, doch darauf kam es nicht mehr an.
Jasmin und ich zogen einander sanft diejenigen Kleider vom Körper, die der oder die jeweils andere noch trug, dann setzten wir uns vorsichtig nebeneinander auf das Bett. Noch immer bedeckten meine Lippen die ihren, doch meine Hände wanderten über ihren Körper und streichelten sanft jede ihrer Rundungen. Und dieses Mal gab es keinen Zweifel, nach dem üppigen Festessen heute Abend war Jasmin’s Bauch um ein Gutes dicker als üblich. Sie ließ mich dennoch gewähren, als meine Finger schließlich auch ihre gerundete Körpermitte betasteten und sie vorsichtig hinein piksten. Jasmin’s Hände hingegen erkundeten den meinen Körper, und ganz langsam ließen wir uns schließlich fallen. Jasmin saß über mir, und schaute mir dabei tief in die Augen. Ich umklammerte sie fest und sog gierig all ihre Weichheit in mich auf, bis unsere beiden Körper schließlich erbebten.
* * *
Am nächsten Morgen wachte ich später als üblich auf. Das Sonnenlicht strahlte durch die nur halb geschlossenen Fensterläden in unser Zimmer und malte schwache Schatten unserer Körper an die Wand. Ich hatte einen Arm um Jasmin gelegt und sie drückte ihren Kopf an meine Brust. Offenbar schlief sie noch, doch als ich mich vorsichtig bewegte, da wurde auch sie wach. Sie rutschte langsam zur Seite und lächelte mich müde an. Wir brauchten an diesem Morgen keine Worte, um miteinander zu sprechen. Wann immer sie mich ansah, so wusste ich, was sie meinte, und bei ihr war es genau so.
Nachdem wir aufgestanden waren und gefrühstückt hatten, machten wir uns wie üblich auf den Weg zum Strand. Als wir am Speisezimmer vorbei kamen bemerkte ich, dass der Raum bereits wieder aufgeräumt war und schloss daraus, dass unsere Gastgeber schon vor uns aufgestanden waren. Es war niemand von Giancarlo’s Familie zu sehen, so dass wir nicht aufgehalten wurden und nicht viel später als an den anderen Tagen am Strand ankommen würden.
Wie jeden Tag spazierten Jasmin und ich durch den Pinienwald, und wie jeden Tag gingen wir nebeneinander. Heute aber hielt ich sie und sie mich an der Hand. Wir hatten beide einen leichten Kater, und so dauerte es nicht lange, bis Jasmin kurz nachdem wir es uns am Strand gemütlich gemacht hatten, ein gedöst war. Ich selbst konnte trotz der leichten Kopfschmerzen nicht einschlafen, und so setzte ich mich auf und blickte nachdenklich auf das Meer. Der Abend gestern hatte vieles verändert, vieles, das Jasmin und mich betraf. Hatte ich eben noch am Sinn, am "Erfolg" dieses Urlaubs gezweifelt, so waren wir uns nun plötzlich ganz nahe gekommen. Ehrlich gesagt hatte ich damit nicht gerechnet, nicht nur weil ich mir nie ganz sicher darüber gewesen war, was man von einem solchen Blind-Date-Urlaub überhaupt halten sollte. Jasmin war einfach so ganz anders gewesen als ich es erwartet, ja vielleicht erhofft hatte. Sicher, sie war eine sympathische junge Frau, die mich mit ihrer offenen Art empfangen hatte. Doch viel mehr als eine gute Freundin hätte sie damit eigentlich nicht werden können, zumal vieles an ihr war, das ich weder verstanden noch gemocht hatte. Wahrscheinlich war es oberflächlich von mir gewesen, doch sie war schon gar nicht mein Typ. Aber sie war auch so ganz anders gewesen, ohne das ich wüsste, wie ich es beschreiben sollte.
Mit einem Mal aber schien sich mein Bild von ihr völlig verändert zu haben. Es sollte mir zwar erst nach und nach wirklich bewusst werden, doch plötzlich war mir so, als hätte niemals irgendetwas in der Welt verhindern können, dass Jasmin und ich zusammen kamen. Hatte ich mich zunächst noch darüber beklagt, wie viel Frau Jasmin tatsächlich war – nun war sie genau richtig, jede ihrer Kurven hatte ihre Berechtigung, jedes ihrer Pölsterchen gehörte genau da hin, wo es war. Und wäre es nicht dort gewesen, so hätte etwas gefehlt, das eben Jasmin ausmachte. Überhaupt erkannte ich in den nächsten Tagen, dass mich alles, was mich zunächst an Jasmin irritiert hatte, plötzlich faszinierte. Wenn Jasmin ging, so schwabbelte nicht mehr einfach ihr Fett mit jeder Bewegung. Wenn Jasmin aß, so war es nicht einfach Maßlosigkeit. Und wenn Jasmin sich nach dem Essen sanft ihr Bäuchlein tätschelte, so war das kein Zeichen für ihre Verfressenheit. Nun – vielleicht war das sogar alles so. Aber selbst wenn es so war, es hatte nicht mehr die gleiche Bedeutung wie vorher.
In den letzten Tagen hatte ich Jasmin oft dabei beobachtet, wie sie weit mehr gegessen hatte als es angebracht war. Für eine junge Frau mit einer Figur wie der ihren aß Jasmin eindeutig zu viel. Eigentlich, wenn ich so darüber nachdachte, hatte Jasmin nicht nur bei den Mahlzeiten ordentlich zugelangt, sondern auch zwischendurch immer wieder irgendetwas zu sich genommen – meistens irgendwelchen Süßkram, den sie was weiß ich wo zu bunkern schien. Und all das, obwohl Jasmin nicht gerade das hatte, was man gemeinhin als Idealfigur bezeichnen würde. Selbst bei einer großzügigen Auslegung dieses Begriffs hätte Jasmin eine Diät gut zu Gesicht gestanden. Sie selbst schien jedoch nicht den geringsten Gedanken an derartige Dinge zu verschwenden. Im Gegenteil schien sich sie nicht nur pudelwohl zu fühlen, sondern sie hatte es eigentlich auch die ganze Zeit vollkommen offen gezeigt. Jasmin hatte sich nicht zurück gehalten, sondern einfach das gegessen, worauf sie eben gerade Lust hatte. Und es schien ihr auch überhaupt nichts auszumachen, die Folgen dieses Verhaltens zur Schau zu tragen. Am Strand hatte sie seit dem ersten Tag Bikinis in allen erdenklichen Farben getragen, die jedes einzelne Pfund an ihrem Körper zeigten und nicht das geringste kaschierten. Ich hatte sie sogar einige Male dabei beobachtet, wie sie während des Sonnenbadens frech mit den kleinen Speckröllchen gespielt hatte, die sich über ihrem Bäuchlein bildeten, sobald sie eine sitzende Position einnahm. Ihre Finger hatten zielstrebig in die weichen Fettdepots gegriffen und sie sanft hin- und hergeschoben und geknetet, und es hatte nicht so gewirkt, als hätte Jasmin dies unbewusst getan. Aber auch in der Zeit, die wir nicht am Strand verbrachten, hatte Jasmin sich stets für figurbetonte Kleidung entschieden, und sie hatte nicht einmal davor zurück geschreckt, trotz ihres Speckbäuchleins Tops zu tragen, die ihre Körpermitte frei ließen. Alles das hatte mich durchaus irritiert, denn es hatte nicht nur dem widersprochen, was ich bisher für richtig oder vielleicht auch nur angemessen gehalten hatte. Auf eine gewisse Art und Weise war ich davon überzeugt gewesen, dass es sich einfach nicht gehörte, sich so zu zeigen und zu geben. Ich hatte diesen offenen Umgang mit Jasmin’s Essverhalten und seinen Folgen beinahe als Provokation aufgefasst. Vielleicht war es das sogar. Und dennoch schämte ich mich jetzt dafür.
Es war schon kurz vor Mittag und ich begann allmählich hungrig zu werden. Ich griff nach meinen Rucksack und öffnete ihn. Wie üblich hatte ich nur etwas Obst mitgenommen, aber bei diesen Temperaturen reichte eine kleine Mahlzeit allemal. Ich nahm mir einen Apfel und stellte dann den Rucksack neben mir in den Sand. Dann bemerkte ich, dass Jasmin gerade aufwachte.
"Wie spät ist es?" fragte sie mich.
"Gleich Mittag." antwortete ich. "Ausgeschlafen?"
"Ja, geht so…" murmelte sie und rieb sich mit der Hand über die Stirn. "Ich hab’ gestern glaube ich zu viel Wein abbekommen. Ich trinke normalerweise nichts, weißt du?"
Ich wusste nicht, trotzdem nickte ich. Jasmin setzte sich auf und streckte die Arme nach vorn um sich zu strecken und gähnte. Dann entspannte sie ihre Muskeln und legte die Hände in den Sand. Sie blickte einige Sekunden auf das Meer, dann drehte sie ihren Kopf zu mir und fragte: "Hast du auch einen Apfel für mich?"
"Natürlich." gab ich zur Antwort und nahm einen weiteren aus meinem Rucksack, den ich ihr überreichte. Sie bedankte sich und biss ab.
Wortlos saßen wir da und aßen, und nachdem wir fertig waren, da stand ich auf und meinte zu Jasmin: "Lust auf einen kleinen Strandspaziergang?"
Sie blickte mich einige Sekunden an, dann schüttelte sie den Kopf. "Nein, nicht wirklich. Ehrlich gesagt hab’ ich noch Hunger…"
"Kein Problem, wir haben auch noch anderes Obst dabei. Eine Banane vielleicht? Oder eine Birne?" fragte ich.
Jasmin schien einen Augenblick zu überlegen, dann meinte sie: "Die Banane."
Ich sah ihr an, dass sie nicht ganz glücklich mit ihrer Entscheidung war, und ich hatte auch so eine Vermutung, warum das so war. Ich ging in die Hocke und blickte ihr in die Augen, dann fragte ich sie: "Wenn du möchtest, dann können wir auch sehen, ob wir in dem Strandcafé dort drüben etwas anderes bekommen." Dabei deutete ich auf den kleinen Betonbau, der sich etwa 200m rechts von unserem Liegeplatz befand. Ich war mir zwar nicht sicher, was wir dort bekommen konnten, aber es kostete ja nichts, sich zu informieren. Ich konnte erkennen, wie Jasmin sich über meinen Vorschlag freute und zu lächeln begann.
"Oh ja, gern. Ehrlich, ich sterbe vor Hunger." murmelte sie etwas verlegen, und wie zur Bekräftigung ihrer Behauptung knurrte ihr Magen hörbar. Ich musste unweigerlich grinsen, dann sagte ich: "Na, dann lass uns mal los, nicht dass es noch so weit kommt."
Ich erhob mich wieder und streckte Jasmin meine Hände entgegen, um ihr hoch zu helfen. Jasmin nahm noch rasch die Geldbörse aus ihrem Rucksack, dann nahm sie meine Hände und ließ sich von mir hochziehen. Anschließend schlenderten wir zu dem Café hinüber.
Zu meiner Überraschung und zur Freude Jasmins behauptete die ausgehängte Speisekarte, dass man hier tatsächlich nicht nur einen Kaffee einnehmen konnte. Stattdessen konnten hungrige Strandbesucher auch kleine Mahlzeiten zu sich nehmen, die sogar verhältnismäßig günstig waren. Abgesehen von uns war das Café nahezu leer, nur ein paar Italiener hatten sich unter den Sonnenschirmen auf der Terrasse eingefunden und nahmen ihren täglichen Espresso zu sich.
"Was möchtest du denn?" fragte ich Jasmin.
"Hmm keine Ahnung. Überrasch’ mich doch einfach." Dabei grinste sie mich herausfordernd an.
"Na gut," antwortete ich, "dann setz’ dich schon mal. Ich bin gleich wieder da."
Jasmin nahm Platz an einem der Tische auf der Terrasse und ich ging nach innen an die Theke um zu bestellen. In den wenigen Sekunden, die ich Zeit hatte, mich zu entscheiden, kämpften die verschiedensten Gedanken in meinem Kopf miteinander. Konnte Jasmin etwa Gedanken lesen und stellte mich nun auf die Probe? Oder wollte sie einfach sehen, ob ich mit ihrer Art zurecht kam? Jasmin musste nach ihrem offensiven Verhalten in den letzten Tagen damit rechnen, dass es mir nicht nur aufgefallen war, sondern ich inzwischen auch dazu Stellung zu beziehen wusste. Vielleicht ging es ihr auch um etwas ganz anderes. Letzten Endes war das nicht so wichtig. Jasmin hatte gesagt, dass sie hungrig war, also würde ich ihr etwas bestellen, das ihren Hunger stillen würde. Ich entschied mich schließlich für ein wirklich großes Stück Lasagne, dazu bestellte ich noch zwei Cola. Der Italiener hinter der Theke – ein kleiner, etwas dicklicher Mann nicht älter als 35 – nahm meine Bestellung auf und stellte alles auf ein Tablett. Nachdem ich bezahlt hatte, ging ich wieder nach draussen zu Jasmin.
"Wow, du meinst es ja echt gut mit mir." staunte sie, als sie das nicht gerade kleine Stück Lasagne sah. Es war groß genug, dass ich mich daran hätte satt essen können, und ich war ein gutes Stück größer als Jasmin und zudem ein Mann.
"Du sagtest doch, du stirbst vor Hunger. Das wollte ich unter allen Umständen vermeiden." gab ich zurück. "Ausserdem, wenn du es nicht schaffst, dann lass’ einfach den Rest stehen."
Daraufhin blickte sie mich erst ernst an und grinste dann. "Na, erstmal schauen – ich bin nämlich wirklich hungrig."
Jasmin begann zu essen. Ich sah ihr zu und nippte selbst nur hin und wieder an meinem Getränk. Mir schien es bei diesen Temperaturen wichtiger, ausreichend zu trinken, denn auch wenn es noch nicht so heiß wie im Hochsommer war, so war es doch warm und vor allem sonnig genug, dass man schnell Kopfschmerzen bekommen würde, wenn man nicht ausreichend Flüssigkeit zu sich nahm. Zumal ich ohnehin immer noch leichte Kopfschmerzen wegen des Katers hatte. Jasmin hingegen schien im Gegensatz zu mir wirklich hungrig zu sein, denn sie machte sich mit einem beachtlichen Tempo über ihr Mittagessen her. Offenbar schmeckte es ihr auch ziemlich gut, denn mehr als einmal schloss sie beim Kauen genüsslich die Augen.
So saßen wir eine Weile in dem Café. Jasmin hatte bereits drei viertel ihrer Lasagne aufgegessen, und noch immer führte sie unentwegt die Gabel immer wieder von ihrem Teller zu ihrem Mund. Das Tempo, mit dem sie aß, hatte sich nicht einmal merklich vermindert. Offensichtlich konnte Jasmin doch mehr essen als ich vermutet hatte. Oder sie hatte meinen Kommentar von vorhin als Herausforderung verstanden. Nun, eigentlich war es auch nichts anderes gewesen. Trotzdem faszinierte es mich, mit welcher Entschlossenheit sie sich über diese Portion hermachte. Noch gestern hätte ich eine solche Situation eher vermieden, doch jetzt sah die Sache anders aus. Auf eine gewisse Art und Weise genoss ich es sogar zu sehen, wie Jasmin sich an ihrem Mittagessen gütlich tat. Vielleicht stimmte es ja wirklich, dass Liebe blind macht. Auf jeden Fall aber schien Liebe tatsächlich durch den Magen zu gehen, denn wenn Jasmin das in den letzten Tagen geschehene ebenso erlebt hatte wie ich, dann war es nur zu verständlich, warum sie sich im Augenblick so damit abmühte, alles auf zuessen.
Es war Jasmin mittlerweile anzusehen, dass auch einer geübten Esserin wie ihr derartige Mengen zu schaffen machten. Eine gut zubereitete Lasagne war nicht zuletzt wegen der vielen Nudelschichten und des zerlaufenen Käses überaus sättigend. Und dem Gesichtsausdruck von Jasmin nach zu schließen war sie schon seit einigen Minuten über diesen Punkt hinaus. Trotzdem aß sie, jetzt etwas langsamer, weiter, bis sie schließlich die ganze Portion aufgegessen hatte. Dann lehnte sie sich zurück, griff nach ihrem Glas und trank ein paar Schlucke. Nachdem sie das Glas wieder abgestellt hatte, nahm sie die Hand vor ihren Mund und rülpste leise hinein. Und zuletzt tat sie genau das, was sie immer tat, wenn sie ihre Mahlzeiten beendet hatte: sie tätschelte zufrieden ihr kleines, jetzt etwas pralleres Bäuchlein.
"Und, satt?" fragte ich.
Jasmin lächelte mich an und nickte. "Ja, jetzt bin ich satt."
Wir blieben noch eine Weile sitzen, bevor wir schließlich an unseren Liegeplatz zurückkehrten und uns noch ein wenig sonnten, bevor wir uns am späten Nachmittag wieder auf zur Pension machten.
Von nun an gingen wir jeden Mittag in das Strandcafé, was vor allem Jasmin freute. Sie nahm dort jeden Tag irgendeine mehr oder weniger üppige Mahlzeit ein, und erst wenn ihr Bäuchlein sich gut gefüllt etwas mehr als normal zu runden begann, war sie satt und zufrieden. Doch auch mir gefiel dieses Schauspiel von Tag zu Tag mehr, wenn ich mir auch den Grund dafür nicht wirklich erklären konnte. Vielleicht lag es einfach daran, dass ich es genoss zu sehen, wie Jasmin nach jedem Essen ihre Zufriedenheit zur Schau stellte. Doch eines wusste ich mit Sicherheit: je länger unser Urlaub andauerte, umso besser gewöhnten wir uns an einander, und so war auch dieses Puzzlestück nur ein weiteres, das in unsere Verliebtheit fiel. Es war mittlerweile für uns beide offensichtlich, das wir uns in einander verliebt hatten. Keiner von uns wollte den genauen Zeitpunkt, wann dies geschehen war, fest legen, doch das war auch nicht wichtig. Alles was zählte war, dass wir diesen Urlaub gemeinsam so schön wie möglich verbringen wollten. Alles, was danach noch kommen könnte, stand in den Sternen, und wir beschlossen, uns einfach überraschen zu lassen.
* * *
Das gute Wetter blieb uns noch einige Tage erhalten. Es war bereits der elfte Urlaubstag, als die Sonne sich zum ersten Mal hinter dicken Regenwolken versteckte. Glücklicherweise war es auch an diesem Tag immer noch verhältnismäßig warm, nur das Sonnenbaden am Strand würde heute flach fallen. Doch es gab auch so genügend zu unternehmen. Der Ort, in dem Giancarlo’s Pension lag, war zwar nur ein kleines italienisches Dorf ohne nennenswerte Sehenswürdigkeiten, doch es gab in der näheren Umgebung einige sehr schön italienische Altstädte zu bewundern. Ganz davon abgesehen wollte Jasmin unbedingt einmal einen Einkaufsbummel machen, und so waren die Pläne für den Tag schnell gemacht. Nach einem ausgiebigen Frühstück packten wir ein paar Getränke, meine Digitalkamera und noch einige andere Dinge in meinen Rucksack. Dann stiegen wir in meinen Wagen und machten uns auf den Weg in eine der umliegenden Gemeinden. Giancarlo hatte uns diese für unseren Ausflug empfohlen, da es dort nicht nur eine sehr schöne Innenstadt geben sollte, sondern angeblich auch genügend Möglichkeiten vorhanden waren, die Jasmin’s Einkaufswunsch gerecht werden konnten. Wir brauchten nicht allzu lang für die Strecke, und schon kurz nachdem wir angekommen waren, hatte ich einen guten Parkplatz nahe des Stadtzentrums entdeckt. Wir stiegen aus und ich schloss den Wagen ab, dann spazierten wir los.
Wir hatten geplant, zunächst ein wenig die Stadt zu besichtigen und das eine oder andere Photo zu machen. Gegen Mittag wollten wir dann irgendein noch nicht näher bestimmtes Lokal oder Restaurant aufsuchen, bevor wir nach dem Mittagessen noch einen kleinen Einkaufsbummel anhängen wollten. Glücklicherweise spielte das Wetter an diesem Tag mit, so dass wir nicht nur keinen einzigen Regentropfen zu sehen bekamen. Am Nachmittag riss sogar die Wolkendecke auf und ließ einige Sonnenstrahlen hindurch.
Unsere Stadtbesichtigung war überaus interessant. Giancarlo hatte nicht gelogen, es gab eine Menge Plätze zu sehen, die ein Photo wert oder sonst wie interessant waren. Die gesamte Altstadt schien dem Pinsel eines Malers entsprungen zu sein, und teilweise wirkte es beinahe kitschig, wie sich all die alten Bauten aneinander reihten und so dieses eigenartige Flair erzeugten, das man nur bei solchen Stadtbesichtigungen zu spüren bekam. Jasmin und ich wanderten fast zweieinhalb Stunden über weite Plätze und durch enge Gassen, ehe es an der Zeit war, sich um das Mittagessen zu kümmern. Wir waren auf unserem Weg an mehreren einladend aussehenden Lokalen und Restaurants vorbei gekommen, so dass es uns nicht schwer fiel, eines zu finden, das uns zusagte. So fanden Jasmin und ich uns schließlich auf der Terrasse eines kleinen, der Straße zugewandten Lokals ein, wo wir alsdann unser Mittagessen einnehmen wollten.
Zwei Minuten, nachdem wir uns niedergelassen hatten, brachte man uns die Speisekarte und wir begannen damit, uns das richtige Gericht heraus zu suchen. Ich entschied mich relativ schnell für Pollo alla Griglia, also Hähnchen vom Grill. Jasmin hingegen bestellte sich eine Portion Calamari Fritti, frittierte Tintenfischringe. Man nahm unsere Bestellung erfreut entgegen, und es dauerte nicht lange, bis alles einschließlich unserer Getränke – Mineralwasser für mich, Cola für Jasmin – serviert wurde. Beide mussten wir fest stellen, dass die Portionen viel größer als erwartet waren. Auf meinem Teller türmte sich ein ordentlicher Berg Pommes Frites als Beilage – leider mochte ich die überhaupt nicht. Doch auch Jasmin’s Portion konnte sich sehen lassen, es würde ihr sicher nicht ganz leicht fallen, alles auf zu essen.
Wir wünschten einander einen guten Appetit und begannen zu essen. Wir hatten offenbar ein glückliches Händchen bei der Wahl unseres Restaurants gehabt, denn die Portionen waren nicht nur sehr groß, sondern das Essen schmeckte auch sehr gut. Es dauerte nicht lange, bis Jasmin bemerkte, dass ich meine Beilage nicht aß, und so fragte sie mich, ob es mir etwas ausmachen würde, wenn sie sich ab und zu ein paar Pommes nehmen würde. Ich hatte damit kein Problem, und so gestattete ich es ihr sehr gerne. Allerdings fragte ich mich, ob Jasmin’s Augen nicht vielleicht größer als ihr Magen waren, denn da waren wirklich viele Tintenfischringe auf ihrem Teller. Die allein müssten eigentlich ausreichen, sie mehr als satt zu machen. Natürlich wusste ich mittlerweile, dass Jasmin derlei Dinge ganz anders betrachtete, und so wunderte ich mich mit der Zeit eigentlich nur noch, wo sie das alles hin packte. Tatsächlich war das kein so großes Geheimnis, denn auch das wusste ich ja mittlerweile: Jasmin aß einfach so lange, bis zum Schluss einfach nichts mehr in ihren prall gefüllten Magen hinein passte. Warum also sollte es heute anders verlaufen?
In der Tat saßen wir länger als ursprünglich geplant beim Mittagessen. Ich war fast zwanzig Minuten früher fertig als Jasmin, die zwar letzten Endes alles auf aß, aber wie erwartet arg mit der Größe der Portion zu kämpfen hatte. Zumal sie sich ja auch noch meine Pommes auf gehalst hatte. Als sie etwa die Hälfte von allem vertilgt hatte, da gestand sie mir, satt zu sein. Ich schlug vor, dass sie den Rest eben stehen lassen sollte, doch das kam für Jasmin gar nicht in Frage. So arbeitete sie sich weiter vor, bis sie irgendwann etwa drei Viertel geschafft hatte. Zu diesem Zeitpunkt stand ihr die Anstrengung schon sichtlich ins Gesicht geschrieben, was Jasmin aber dennoch nicht daran hinderte, nach einer kurzen Pause weiter zu essen. Für das letzte Bisschen brauchte sie dann auch deutlich länger, aber sie schaffte es tatsächlich, alles davon in ihren Bauch zu zwängen. Selbst den Verdauungsschnaps, den man uns anschließend servierte, nahm sie noch dankbar an.
Jasmin und ich blieben nach dem Essen noch eine Weile sitzen, da wir beide ziemlich satt waren. Als wir dann schließlich das Lokal verließen und ich einen Blick auf Jasmin’s gut gefülltes Bäuchlein werfen konnte, da konnte ich mir ein amüsiertes Lächeln nicht verkneifen. Der Rock, den sie heute trug, hatte sich knall eng an ihren prallen Wanst geschmiegt, und auch Jasmin’s Bluse war ein Stückchen nach oben gerutscht, so dass nun aus dem so entstandenen, kleinen Spalt etwas von Jasmin’s Bauchspeck hindurch lugte. Das war vor allem insofern lustig, weil Jasmin’s Bluse ursprünglich nicht als Kleidungsstück geplant war, das für das bauchfreie Tragen gedacht war.
Jedenfalls spazierten wir wieder los, denn noch stand ja der von Jasmin gewünschte Einkaufsbummel an. Ich weiß nicht mehr, wie viele Läden wir an diesem Nachmittag noch auf ihr Sortiment geprüft hatten, doch an einen davon kann ich mich noch sehr gut erinnern. Es war einer dieser Läden, in denen man Touristen italienische Mode zu völlig überteuerten Preisen verkaufen wollte. Der Preis allerdings hinderte Jasmin nicht daran, etliche Kleidungsstücke aus dem Angebot zu probieren, es gab vielmehr ein anderes Problem. Ganz offensichtlich hatte Jasmin es sich den ganzen Urlaub über im allgemeinen und heute Mittag im besonderen zu gut schmecken lassen, denn als sie das erste Mal aus der Umkleidekabine trat, da grinste sie mich an und präsentierte stolz ihr Bäuchlein, das sich beinahe unverschämt weit aus der geöffneten Jeans schob.
"Ich glaube, die ist mir ein bisschen zu klein…" schmunzelte sie und zupfte an der Jeans herum, so als ob das irgend etwas an der unkonventionellen Trageweise verändern könnte.
Mir wurde sodann der Auftrag erteilt, dieselbe Jeans eine Nummer größer herbei zu schaffen, was ich natürlich tat. Allerdings war das Ergebnis das selbe, und erst im dritten Versuch passte eine Jeans. Ehrlich gesagt hätte man allerdings eher fest stellen müssen, dass Jasmin in die Jeans hinein passte, denn sonderlich bequem schien die Jeans auch jetzt nicht zu sitzen. Ganz davon abgesehen, dass ich so meine Zweifel daran hatte, ob Jasmin diese Jeans nach dem Urlaub immer noch würde schließen können… Ein weiteres Mal wollte Jasmin dann allerdings doch nicht mehr aufstocken. Offensichtlich war sie selbst etwas überrascht davon, dass sie womöglich etwas mehr als erwartet zugenommen hatte, und es war das erste Mal, dass Jasmin nicht so souverän wirkte was den Umgang mit ihrem Gewicht betraf. Allerdings war das auch verständlich, und so einigten wir uns schließlich darauf, dass das Jeansproblem hauptsächlich auf dem zu üppigen Mittagessen beruhte. Davon abgesehen, sehr wahrscheinlich fielen auch die Kleidungsgrößen in Italien etwas kleiner aus als bei uns daheim…
An diesem Abend hielt sich Jasmin zum ersten Mal beim Abendessen zurück. Ich war mir jedoch nicht sicher, ob das nur an dem gescheiterten Jeanskauf vom Nachmittag lag, oder ob sie nicht einfach noch voll vom Mittagessen war. Ich hielt beides für möglich, wollte mich aber letzten Endes nicht entscheiden.
* * *
Am nächsten Tag war das Wetter wieder besser und wir konnten wieder an den Strand gehen. Das Wetter sollte ohnehin laut Wetterbericht in den nächsten Tagen so bleiben, und so schritt unser Urlaub voran. Zwischen Jasmin und mir lief es mittlerweile wirklich sehr gut, und keiner von uns bereute es, das Abenteuer Blind-Date-Urlaub eingegangen zu sein. Tatsächlich war es für uns beide wohl mit der schönste Urlaub, den wir bisher verlebt hatten. Es war fast als verliebten wir uns jeden Tag ein bisschen mehr in einander, und egal was wir taten, wir taten es gemeinsam. Es gab ausgedehnte Strandspaziergänge, wie kleine Kinder alberten wir gemeinsam im Wasser herum und an den Abenden folgte einem zumeist üppigen Abendessen regelmäßig eine bewegungsreiche Nacht in unserem Hotelzimmer, wenngleich sich der Aktionsradius hauptsächlich auf das Bett beschränkte.
Zu diesem Zeitpunkt war es längst so, dass ich mich auch körperlich zu Jasmin hingezogen fühlte. Alles, was mich ursprünglich an ihr gestört hatte, trug nun nur dazu bei, dass ich Jasmin noch attraktiver fand. Ihre ausladenden Hüften, die beim Gehen rhythmisch hin- und her schwenkten, ihr kleines Bäuchlein, das sich stets sanft rundete und all die kleinen Speckröllchen, die ihren übrigen Körper zierten. Es war, als hätte das Gesicht des Engels plötzlich auch den Körper eines Engels. Nur, dass dieser Engel auf eine andere Art und Weise schön war. Es war wirklich ein Glück, dass mir das bewusst werden hatte können.
Eines Abends, kurz nach dem Abendessen, wollten Jasmin und ich uns gerade auf den Weg in unser Zimmer machen. Wir wollten noch ein wenig auf der Terrasse sitzen und plaudern, doch daraus wurde nichts. Gerade als wir die Treppe nach oben nehmen wollten, stand plötzlich Laura vor uns und fragte, ob wir nicht Lust hätten, etwas zu unternehmen. Auf unsere Nachfrage, was genau sie im Sinn hatte, erklärte sie, dass sie und einige Leute, die sie von der Uni kannte, heute Abend in eine Discothek gehen wollten. Jasmin und mir schien das eine gute Abwechslung zu unserem üblichen "Urlaubstrott", ein bisschen Spaß zu haben schadete nie. Und so kam es, dass wir nicht ganz eine Stunde später in einem dunklen, nur von blitzenden Lichtern in allen Farben hin und wieder erhellten Raum standen und uns gemeinsam mit einer Menge anderer tanzbegeisterter junger Menschen von dem hämmernden Rhythmus irgendeines Dancetracks treiben ließen. Wir hatten uns nur rasch umgezogen, bevor Laura mit uns hierher gefahren war, und wir hatten schnell fest gestellt, dass Laura’s Vorschlag wirklich eine gute Idee gewesen war.
Wir hatten schon eine Weile getanzt, als ich mich an die Bar begeben und etwas trinken wollte. Jasmin selbst hatte Lust, noch weiter zu tanzen, und schließlich blieb sie gemeinsam mit Laura und zwei anderen jungen Frauen aus Laura’s Uniclique auf der Tanzfläche. Die Männer, d.h. Laura’s Freund Marcello, zwei deren Namen ich mir nicht merken wollte und ich gingen an die Bar und bestellten uns etwas Alkoholisches.
"…sch anzu…., die Mä…, o…? fragte Marcello mich. Den Rest des Satzes hatte ich nicht verstanden, die Musik war einfach zu laut. Ich warf ihm einen fragenden Blick zu, und er neigte seinen Kopf nach vorn und schrie mir seine Frage ins Ohr. "Hübsch anzusehen, die Mädels, oder?"
Jetzt hatte ich ihn verstanden, und ich nickte. "Ja, in der Tat." brüllte ich zurück.
"Hast wirklich Glück mit Jasmin, weißt du das?" schrie Marcello mich an.
"Wie meinst du das?" kam meine Antwort nicht weniger laut.
"Na, so eine Hübsche muss man erstmal finden. Aber ich hab’ ja zum Glück Laura."
"Das stimmt." antwortete ich und wir lächelten uns stolz an. Dann stießen wir unsere Gläser an und leerten sie anschließend in einem Schluck.
"Ein bisschen mehr von deiner Jasmin wäre auch an Laura hübsch." schrie Marcello, nachdem er sein Glas wieder abgestellt hatte.
"Wie meinst du das?" brüllte ich zurück.
"Na, sieh dir die beiden ruhig mal an. Ich hoffe, Laura hat auch irgendwann mal solche Kurven wie Jasmin. Das ist es doch, was wir Männer brauchen. Nicht diese spindeldürren Klappergestelle." Seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen meinte er das absolut ernst, und ich konnte ihn verstehen. Laura war zwar nicht zu dünn, aber sie hatte auch bei weitem keine so weibliche Figur wie Jasmin. Und trotzdem waren sie beide hübsch, nur jede eben auf ihre eigene Art. Ich gab Marcello Recht und wir bestellten uns einen weiteren Drink.
Wir wechselten danach nur noch wenige Sätze, denn eine sinnvolle Unterhaltung konnte man bei der Lautstärke ohnehin nicht führen. Stattdessen beschränkte ich mich darauf, eine Weile Jasmin zu beobachten. Trotz der gut gefüllten Tanzfläche verlor ich sie nie aus den Augen, wie sie ihren Körper im Rhythmus der Musik bewegte und mit allem, was sie hatte, versuchte, mich zu betören. Denn natürlich waren ihr meine Blicke nicht verborgen geblieben. Jasmin und ich wussten beide, dass der Abend nicht mit dem Verlassen der Discothek zu Ende sein würde.
* * *
In den nächsten Tagen schien die Zeit zu fliegen. Es war so, wie es sich mit allen schönen Dingen verhielt: je mehr man es genoss, desto schneller schien es vorüber zugehen, damit man später wusste, wie sehr man solche Zeiten schätzen sollte. Jasmin und ich machten das Beste aus der Zeit, die uns noch zur Verfügung stand, und auch wenn sich eine gewisse Routine in unseren Urlaub einschlich, so war doch jeder Tag für sich schön. Doch leider rückte auch unser letzter Urlaubstag immer näher, und auch wenn wir bereits jetzt wussten, dass es damit nicht enden sollte, so wussten wir auch, welches Glück wir mit einander gehabt hatten. So kamen und gingen die Tage, bis es schließlich nur noch ein Tag bis zu unserer Heimreise war.
Strenggenommen mussten wir eigentlich schon den heutigen als unseren letzten Tag ansehen, denn morgen würden wir nur noch frühstücken und dann unsere Heimreise antreten. So war es kein Wunder, dass wir den letzten Tag noch einmal voll auskosten wollten. Natürlich gingen wir wieder an den Strand, schauten dort ein letztes Mal im Strandcafé vorbei – ich hatte mich mittlerweile mit dem Besitzer bekannt gemacht, der sichtlich erfreut gewesen war, einen Touristen vor sich zu haben, der der Landessprache mächtig war. Es folgte ein ausgedehnter Strandspaziergang, und natürlich ließen wir es uns auch nicht nehmen, noch einmal im Meer schwimmen zu gehen. Allerdings gingen wir dennoch eine gute Stunde früher als üblich zurück zur Pension, weil wir noch ein paar Einkäufe erledigen wollten. Wir brauchten für unsere Heimfahrt schließlich noch etwas an Verpflegung, also Getränke für uns beide und irgendwelchen Süßkram für Jasmin. Nachdem wir alles was wir brauchten, besorgt hatten, ließ ich den Wagen noch an der örtlichen Tankstelle betanken und überprüfte noch selbst, ob Reifenfülldruck und dergleichen stimmten. Schließlich sollte die Heimfahrt mindestens genauso unproblematisch erfolgen wie unsere Anreise.
Wir kamen am späten Nachmittag zurück zur Pension. Weder Giancarlo noch eines der anderen Familienmitglieder waren zu sehen, so dass wir die Zeit bis zum Abendessen nutzen wollten und schon begannen, wieder zu packen. Anschließend setzten wir uns noch ein wenig auf die Terrasse und gönnten uns noch einige Sonnenstrahlen, ehe wir kurz nach halb sieben zum gemeinsamen Abendessen mit Giancarlo und seiner Familie gingen. Heute Abend waren nur Giancarlo, Rosa, Laura und natürlich Giancarlos Mutter anwesend. Rosa hatte für unseren letzten Abend Orate zubereitet, einen sehr lecker schmeckenden Fisch. Dazu gab es Kartoffeln. Nach all den Nudeln, die wir in unserem Urlaub verzehrt hatten (von Pizza ganz zu schweigen!) war das eine willkommene Abwechslung und zugleich ein würdiges Abschiedsessen. Wie in den Jahren zuvor, wenn ich bei Giancarlo und seiner Familie zu Gast gewesen war, war die Stimmung am heutigen Abend nicht ganz so ausgelassen. Denn auch wenn ich wie ein normaler Gast für Zimmer und Verpflegung zu bezahlen hatte, ich wusste, dass ich zu Giancarlo’s Freunden zählte. Was ihn betraf, so konnte er das gleiche gegenüber mir behaupten. Und Freunde zu verabschieden, das fiel nun mal in allen Kulturen gleich schwer. Wir saßen bis kurz nach 22 Uhr beisammen, ehe Jasmin und ich nach oben in unser Zimmer gingen. Wir verabschiedeten uns noch von Laura, die wir morgen früh nicht mehr sehen würden, dann verließen wir den Tisch.
Ich schloss gerade die Fensterläden, als ich bemerkte, dass Jasmin eine unsere Reisetaschen durchwühlte. Als ich genauer hinsah, da erkannte ich, dass es sich um die Tasche mit unserem Reiseproviant handelte.
"Suchst du was?" fragte ich sie.
"Hmm ja…" antwortete sie ohne aufzublicken. Sie suchte einige Sekunden weiter, dann warf sie mir einen entschuldigenden Blick zu. "Weißt du, der Fisch war ja wirklich sehr lecker. Aber es war halt auch ein bisschen wenig…"
Aus Jasmin’s Sicht war das sicher zutreffend. Mir hatte meine Portion durchaus gereicht, aber wenn Jasmin in diesem Urlaub eines bewiesen hatte, dann dass sie größere Portionen gewöhnt war. Da hatte das heutige Abendessen sie natürlich nicht zufrieden stellen können. Jasmin hatte zwar zweimal Nachschlag genommen, aber dennoch war der Fisch nun mal nicht so sättigend wie beispielsweise Nudeln es gewesen wären.
Als ich Jasmin sah, wie sie so in in ihrem Pyjama da stand, kam mir eine Idee. Es war zwar schade um unseren Reiseproviant, aber andererseits….
"Lass’ mal, ich hab’ eine Idee." sagte ich zu ihr. Sie blickte mich fragend an, und ich sprach weiter. "Setz dich mal auf’s Bett und mach dann die Augen zu. Bitte."
Jasmin tat, worum ich sie gebeten hatte, und setzte sich so auf ihr Bett, dass sie sich mit dem Rücken gegen das Kopfende stützen und gleichzeitig die Beine ausstrecken konnte. Ich nahm unterdessen die Tasche mit dem Reiseproviant, stellte sie neben ihre Seite des Bettes und setzte mich dann vorsichtig auf Jasmin’s Oberschenkel, so dass sie nicht mehr aufstehen konnte. Sie öffnete überrascht die Augen und wollte etwas sagen, aber ich war schneller.
"Augen zu!" sagte ich amüsiert zu ihr, und sie gehorchte. Dann griff ich mit der rechten Hand in die Reisetasche und nahm das Erstbeste, das ich zu fassen bekam, heraus. Einen Schokoladenriegel. Ich zog’ die Folie ab, dann führte ich ihn an Jasmin’s Mund.
"Mund auf!" befahl ich, und Jasmin tat wie ihr geheissen. Ich schob den Riegel hinein, und als sie erkannte, was ich da tat, da biss sie ab und kaute genüsslich. Dabei hatte sie ein Lächeln auf dem Gesicht, welches schelmischer nicht hätte sein können. Gleich nachdem sie den ersten Bissen hinunter geschluckt hatte, öffnete sie ihren Mund erneut, und ich schob ihr den Schokoladenriegel ein zweites Mal hinein. Dieses Spiel wiederholten wir solange, bis der Riegel gegessen war. Dann griff ich wieder in die Tasche. Wieder bekam ich einen Schokoladenriegel zu fassen, allerdings hatte dieser eine Füllung mit Bananengeschmack. Jasmin hatte eigentlich nur Schokoladenriegel gekauft, die sich nur im Geschmack unterschieden, aber das machte nichts. Sie würden ihren Zweck auch so erfüllen.
Ich zog die Folie ab, dann fütterte ich Jasmin mit dem Riegel. Ich fand es ziemlich witzig, wie gierig Jasmin sich gab. Beinahe so, als hätte sie seit Tagen nichts mehr gegessen. Mal sehen, wie es aussehen würde, wenn sie noch ein paar Riegel mehr geschafft hatte. Es dauerte nicht lange, bis auch dieser Schokoriegel erst in Jasmin’s Mund und dann in ihrem Bauch verschwunden war. Ich hatte bereits den nächsten Riegel in der Hand und erhöhte jetzt ein wenig das Tempo, mit dem ich sie fütterte.
"Nicht so langsam, Jasmin. Der nächste Bissen wartet schon…" ermahnte ich sie sanft, und ich konnte sehen, wie sie lächelte. Es schien ihr gefallen, mir derart ausgeliefert zu sein, und so fütterte ich sie eine Weile weiter. Dem dritten Riegel folgten zwei weitere, und als ich den sechsten Riegel auspackte, da meinte Jasmin: "Wie lange soll das denn so weitergehen?"
"Ich weiß nicht." antwortete ich und schob ihr schon das nächste Stück Schokoriegel in den Mund. "Solange, bis keine Riegel mehr da sind?" fragte ich unschuldig.
Jasmin öffnete die Augen und blickte mich ungläubig an, dann meinte sie mit vollem Mund: "Ist das dein Ernst? Das sind ziemlich viele Riegel…"
Ich warf einen Blick in die Tasche, denn ich wusste nicht wirklich, wie viele der süßen Kalorienspender Jasmin tatsächlich eingekauft hatte. Soweit ich es überblicken konnte, waren schon noch einige Riegel übrig. Ich schätzte die Zahl auf mindestens zwanzig. Nachdem die Schokoriegel auch verhältnismäßig groß waren, lag also noch einiges an Arbeit vor Jasmin.
"Tja, dann halt dich besser ran." meinte ich in einem herausfordernden Ton. "Sonst lässt du ja auch nichts stehen."
"Ja aber…" wollte sie gerade protestieren, doch da hatte ich ihr schon wieder ein Stück in den Mund geschoben. Wieder musste sie grinsen, und weil ich sie anders nicht zu Wort kommen ließ, sprach sie wieder mit vollem Mund: "Das macht dir wohl Spaß, wie?"
"Ja, tut es." meinte ich knapp. "Aber jetzt sprich nicht so viel. Da warten noch eine Menge Schokoriegel mehr darauf, in dein süßes Bäuchlein befördert zu werden." Während ich das sagte, piekste ich sie sanft mit der linken Hand in ihren Bauchspeck, was Jasmin offensichtlich kitzelte.
"He…" kicherte sie, und schon wieder schob ich den Riegel in ihren Mund.
"Nicht reden." sagte ich noch einmal und drückte mahnend meinen Finger auf ihren Mund.
Von nun an schwieg Jasmin und ließ mein Fütterspielchen über sich ergehen. Wann immer ich ihr einen Riegel hinhielt, biss sie brav ab, kaute und schluckte. Es war wirklich erstaunlich, wie viel sie essen konnte. Mit der Zeit wanderte ein Riegel nach dem anderen in ihr sich füllendes Bäuchlein, und je länger unser Spielchen dauerte, desto länger brauchte auch Jasmin für jeden neuen Bissen. Ich befühlte gelegentlich ihren Bauch, der sich allmählich etwas mehr zu runden begann, und irgendwann war es soweit, dass Jasmin sich sichtlich zwingen musste, weiter zu essen. Ich vermutete, dass ihr ihre Sitzhaltung allmählich unbequem wurde, aber noch wollte ich nicht aufhören. Erst, wenn Jasmin soweit war, dass sie von sich aus aufgeben musste, dann sollte Schluss sein.
Der Zeitpunkt kam, nachdem Jasmin wirklich viele Riegel (ich hatte sie nicht genau gezählt) geschafft hatte. Ich hatte gerade einen weiteren Riegel aus der Folie geschält und hielt in an ihren Mund, da drehte sie erschöpft ihren Kopf zur Seite.
"Ich glaube, es reicht jetzt…" meinte sie und rülpste leise. So schnell ließ ich nicht locker, und ich ließ meine Hand ihrem Mund folgen, so dass der Riegel wieder abbiss bereit auf Jasmin wartete. "Ehrlich, ich kann nicht mehr…" stöhnte sie und drehte ihren Kopf schnell zur anderen Seite.
"Na gut, wenn du meinst." sagte ich grinste sie schadenfroh an. Sie drehte ihren Kopf erneut und blickte mir dankbar in die Augen. Neckisch biss jetzt ich von dem Schokoladenriegel ab, solange bis nur noch ein Bissen übrig war.
"Also einen… schaffe ich noch." meinte Jasmin schwach lächelnd.
* * *
Am nächsten Morgen wachten wir trotz der späten Stunde, bis zu der wir uns mit dem einen oder anderen Sache noch wach gehalten hatten, früh auf. Nach dem Aufstehen packten wir erst unsere restlichen Sachen zusammen, dann gingen wir frühstücken. Giancarlo frühstückte mit uns, befragte uns nochmal ausführlich, ob uns der Urlaub auch gefallen hatte (was für eine Frage!) und begannen danach, das Auto zu beladen. Nachdem auch das erledigt war, verabschiedeten wir uns von Giancarlo und Rosa (die anderen Familienmitglieder waren nirgends zu sehen), und dann traten wir unsere Heimreise an. Genau wie die Hinfahrt verlief alles problemlos, wir machten zweimal Rast (nachdem wir ja keinen Reiseproviant mehr übrig hatten sahen wir uns gezwungen, beide Male eine der teuren Autobahnraststätten anzufahren) und kamen nach einer langen, aber trotz allem entspannten Fahrt wieder bei uns zu Hause an.
Es fiel uns beiden schwer, Abschied zu nehmen, als ich und Jasmin wieder in dem Treppenhaus vor ihrer Wohnung standen, wo wir uns das erste Mal gesehen hatten. Glücklicherweise, und das wussten wir beide, war der Abschied nicht auf Dauer. Es gab nun einiges zu erledigen, so dass wir uns ein paar Tage lang nicht sehen würden. Doch danach, das hatten wir noch während des Urlaubs geplant und auf der Heimfahrt beschlossen, würde Jasmin bei mir einziehen. Bis dahin aber würden wir beide einander so vermissen wie man nur jemand vermissen konnte, den man liebt.
* * *
Warum ich diese Geschichte erzählt habe? Nun, vielleicht weil ich heute Jenny begegnet bin. Das heisst, weil Jasmin und ich Jenny begegnet sind. Vor mehr oder weniger genau zwei Jahren war Jenny wutentbrannt aus dem Wohnhaus und damit auch aus meinem Leben verschwunden. Heute habe ich sie wieder gesehen. Jasmin und ich saßen gerade in einem Café in der Innenstadt, als ich Jenny nur unweit unseres Sitzplatzes erkannte. Sie war gerade dabei, das Schaufenster eines Reisebüros zu dekorieren, Offensichtlich arbeitete sie nun dort. Aus der Entfernung konnte ich das Plakat, das sie gerade an der Aussenscheibe anbrachte, erkennen. Frühbucherrabatt, stand dort in großen, roten Lettern geschrieben. Ich musste lächeln. Ob sie wohl wusste, welchen Gewinn man damit tatsächlich machen konnte? Glücklich lächelte ich Jasmin an.
"Schatz, sag mal: was hältst du davon, wenn wir unsere Flitterwochen in Italien verbringen?"